Analyse zur Außenpolitik Moskaus Ein kühl berechnetes Spiel

Stand: 23.03.2014 04:30 Uhr

Nach der Annexion der Krim wächst die Sorge, dass Russlands Außenpolitik zu weiteren Spannungen bei anderen Konflikten führt. So könnte Präsident Putin den Einfluss auf Syrien und Iran nutzen, um seine Interessen in der Ukraine durchzusetzen. Doch für ihn selbst steht viel auf dem Spiel.

Von Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Russlands Agieren in der Ukraine wirft zahlreiche Fragen zur künftigen Außenpolitik des Kreml und seinem Umgang mit Krisen auch außerhalb der russischen Nachbarschaft auf: Welche Länder könnten ebenfalls unter verschärften Druck Russlands geraten? Bleibt Osteuropa stabil, und wie sehr werden andere Konflikte wie jene um Iran und Syrien beeinflusst? Ist Präsident Wladimir Putin noch ein vertrauenswürdiger Verhandlungspartner, mit dem zusammen sich noch Lösungen finden lassen?

Zwar wirkte der russische Präsident bei seiner Rede am Dienstag vor Vertretern des Parlaments recht emotional. Doch vieles spricht dafür, dass er kühl berechnend vorgeht und vorrangig die Machtposition im eigenen Land im Blick hat. Es sei hilfreich, die Entwicklungen in Russland selbst zu verfolgen, rät Putin-Biografin Fiona Hill vom Brookings Institute in Washington. Wie bei jedem langjährigen Staatsführer bestehe auch für Putin die Gefahr, dass sowohl das Volk als auch enge Mitstreiter seine Legitimation in Frage stellen und Alternativen suchen. Schon der 2011 mit dem damaligen Präsidenten Dimitri Medwedjew abgesprochene Ämtertausch und Putins Rückkehr in den Kreml hatte Enttäuschung vor allem in der russischen Mittelschicht ausgelöst.

In Russland gibt es wie in anderen Ländern Europas und den USA eine Bewegung gegen das Establishment mit rechtspopulistischen, nationalistischen und extremistischen Tendenzen. Um dieser nicht Raum zu geben, habe Putin diese Stimmung aufgegriffen, so Hill. Er präsentierte sich seit seiner Rückkehr in den Kreml 2012 verstärkt als Anführer einer konservativen Bewegung im Bund mit der Orthodoxen Kirche. Er betonte immer wieder die Bedeutung der russischen Kultur und Geschichte und stellte die Ukraine als wichtigen Bestandteil dar.

Ein Platz in der Geschichte für Putin

Aus diesem Blickwinkel wirkte der Umsturz in der Ukraine wie ein direkter Angriff auf Russland und eine persönliche Niederlage für Putin, was dessen entschlossen aggressives Eingreifen auf der Krim erklärt. Die "historische Wiedervereinigung mit der Krim" sichert Putin zudem einen Platz in der Geschichte und steigerte seine Popularitätswerte.

Die Verdammung des Westens als Unterstützer von Faschisten und Extremisten in Kiew sowie als dekadent und schwach soll einerseits helfen, das Volk hinter Putin zu vereinen. Andererseits soll es das westeuropäische Modell als Alternative zur autoritären Herrschaft in Russland diskreditieren. Putin habe in letzter Zeit weniger die NATO als die Ausbreitung der EU in deren östliche Nachbarländer gestört, sagt Expertin Hill.

Es lässt sich auch schwer vermitteln, warum ausgerechnet die Georgier im Südkaukasus die Korruption weitgehend beseitigen konnten, diese in Russland aber weiter zu den größten Problemen zählt. So ist zu befürchten, dass Russland die Unterzeichnung der EU-Assoziierungsabkommen mit Georgien und Moldawien nicht einfach hinnimmt. Auch ist damit zu rechnen, dass Russland den Druck auf andere Ex-Sowjetrepubliken, insbesondere Weißrussland, erhöht.

Keine prestigeträchtigen Bilder aus Sotschi

Doch einiges spricht dafür, dass Russland eine internationale Isolation vermeiden will. Putin will als international einflussreicher Staatsmann wahrgenommen werden. Positionen wie der ständige Sitz im UN-Sicherheitsrat gelten noch immer als Ausweis für Russlands Bedeutung in der Welt. Nicht zuletzt deshalb pocht Putin darauf, dass sich Russland anders als der Westen im Fall Kosovo und Libyen an die Regeln internationaler Organisationen gehalten habe.

Putin dürfte es durchaus ein wenig ärgern, dass der prestigeträchtige G8-Gipfel nicht bei ihm in Sotschi ausgetragen wird. Abgesehen von der Foto-Gelegenheit sei ihm die G8 aber weniger wichtig als die G20 und andere Gruppierungen, so Hill. Allerdings gibt es nun auch eine Möglichkeit weniger für den direkten Austausch zwischen Putin und den anderen sieben Staats- und Regierungschefs, um zum Beispiel über Sicherheitspolitik zu reden, gibt Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, zu bedenken.

Das Vertrauen für solche Gespräche dürfte derzeit aber ohnehin fehlen. Denn Berlin und Washington sahen sich getäuscht, als Putin und sein Außenminister Sergej Lawrow noch kurz vor der Annexion der Krim in direkten Gesprächen versicherten, die Souveränität der Ukraine zu respektieren. "Die Skepsis ist gewachsen, ob es für eine globale Ordnungspolitik noch eine gemeinsame Agenda gibt", so Perthes.

Kooperation beim Iran-Konflikt

Der russische Experte Dimitri Trenin vom Carnegie-Center in Moskau geht dennoch davon aus, dass Russland und der Westen beim Thema Iran und bei der Chemiewaffenzerstörung in Syrien weiter kooperieren. "Wenn sich jedoch die Beziehung zwischen Russland und dem Westen weiter verschlechtert, wird es sich auch darauf auswirken."

Perthes verweist darauf, dass sich die russische Seite weiter mit um eine dritte Konferenz in Genf für Syrien bemüht und bei den Gesprächen zum Atomkonflikt mit dem Iran aktiv ist. Es gebe ja das gemeinsame Interesse Russlands und des Westens, den Iran als Atommacht zu verhindern. Weniger optimistisch ist Perthes beim Thema Syrien. Präsident Baschar al Assad spekuliere darauf, dass Russland und der Westen keinen gemeinsamen Druck ausüben werden. Schon vorher hätten ja beide Seiten unterschiedliche Ziele beim Umgang mit dem Bürgerkrieg verfolgt.

Die Washingtoner Expertin Hill erwartet, dass die Ukraine und die Krim für Putin weiter Top-Priorität bleiben. Um seine Interessen dort durchzusetzen, könne er den Iran und Syrien als Druckmittel verwenden. Sollten weitere Sanktionen gegen Russland verhängt werden, könnte er mit dem Unterlaufen der Sanktionen gegen den Iran drohen, separate Gespräche mit Teheran führen oder  die Absicht zum Verkauf von S300-Raketen an den Iran bekunden.