Justizreform in Polen Ruhestand oder Rausschmiss?
Vordergründig geht es darum, das Rentenalter der Obersten Richter Polens herabzusetzen. Doch weil dies einer Entmachtung gleichkommt, leitete die EU nun ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen ein.
Von Jan Pallokat, ARD-Studio Warschau
Das "Gesetz über das Oberste Gericht" ist nur ein Teilstück des großen Justiz-Umbaus der polnischen Regierung – aber ein besonders wichtiges, schließlich betrifft es die höchste Berufungsinstanz des Landes. Sie wacht auch darüber, dass es bei den Wahlen im Land korrekt zugeht.
Neben einigen Verfahrensänderungen läuft die Gesetzesänderung vor allem darauf hinaus, dass schon bald ein großer Personalwechsel stattfindet. Denn die Absenkung des Richter-Rentenalters trifft naturgemäß gerade die höchsten Instanzen.
Auch die Präsidentin muss gehen
Etwa jeder dritte oberste Richter soll am morgigen Dienstag zwangsweise in den Ruhestand verabschiedet werden, darunter auch Gerichtspräsidentin Malgorzata Gersdorf. Dies freilich steht im Widerspruch zur polnischen Verfassung, in der es heißt, der Staatspräsident berufe den Ersten Vorsitzenden auf sechs Jahre.
Maciej Gutowski, Rechtswissenschaftler in Posen: "Zweifellos kann man die sechsjährige Amtszeit nicht einfach per Gesetz verkürzen, auch nicht über eine Entscheidung des Präsidenten. Denn könnte man das, wäre zum Beispiel auch der besondere Schutz von Gewerkschaftern im Betrieb illusorisch, in dem man sie in Rente schicken könnte. Aber so ist es nicht. Entweder haben wir die Verfassungsgarantie, oder wir haben sie nicht."
Das Gebäude des Obersten Gerichts in Warschau
Kritiker: Unabhängigkeit der Justiz gefährdet
Kritiker im In- wie Ausland, darunter auch die EU-Kommission, sehen durch die willkürlichen Richterentlassungen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung in Polen gefährdet – und berufen sich dabei auf das Urteil internationaler Experten wie der zuständigen Venedig-Kommission des Europarats, der auch Juristen aus Osteuropa angehören.
Kritisch sehen die Experten auch den Aufbau zweier völlig neuer Kammern. Eine soll als Disziplinarkammer gegen andere Richter vorgehen, eine andere als "ungerecht" empfundene letztinstanzliche Urteil auch Jahre später noch anfechten können. Dies alles, verspricht die Regierung, soll die polnische Justiz "effizienter" machen und von korrupten Richtern befreien.
Staatspräsident Duda könnte jetzt einen neuen Gerichtspräsidenten berufen
Regierungspartei weist Vorwürfe zurück
Regierungsgegner dagegen mutmaßen, dass sich die Regierung den Justizapparat unterwerfen wolle wie bereits die öffentlichen Medien und andere staatliche Einrichtungen. Ryszard Terlecki, Fraktionschef der regierenden Partei PiS, weist das zurück: "Die Angriffe gegen uns finden auf Druck der Opposition statt. Sie fahren nach Brüssel, betteln bei der Europäischen Kommission, dass sie Polen zum Nachgeben zwingt. Aber wir werden nicht nachgeben."
Führende Vertreter der PiS-Partei haben wiederholt weitere Kompromisse ausgeschlossen, deswegen gilt eine Kehrtwende auf den letzten Metern als unwahrscheinlich. Vergangene Woche veröffentlichte Staatspräsident Andrzej Duda im Amtsblatt vielmehr die Vakanz von 44 Richterstellen am Obersten Gericht. Auf Basis der Justizgesetze könnte Duda einen eigenen Gerichtspräsidenten berufen, der dann neben der Amtsinhaberin stünde.
Betroffene kündigen Widerstand an
Einige der zwangsverrenteten Richter wiederum wollen sich dem Vernehmen nach nicht beugen und ihr Amt weiter ausüben, darunter offenbar auch die Gerichtsvorsitzende. Sie berufen sich dabei auf die polnische Verfassung.
Bei der Auswahl neuer Richter wiederum hat formal der sogenannte Landesjustizrat das entscheidende Wort. Doch wurde auch dieses Gremium, das laut Verfassung unabhängig sein soll, durch die Justizgesetze der Regierung vorzeitig aufgelöst und neu besetzt: vorwiegend mit Mitgliedern, die die PiS-Mehrheit im Parlament auswählte.