Hintergrund

Piraterie am Horn von Afrika Die Korsaren aus einem zerfallenen Staat

Stand: 10.05.2009 03:00 Uhr

Die Überfälle auf Schiffe kommen nicht von ungefähr: Der Staatszerfall Somalias begünstigt organisierte Kriminalität und Terrorismus. Die Piraterie ist nur ein Symptom - und mit ein paar Fregatten allein schwer zu bekämpfen.

Die Überfälle auf Schiffe kommen nicht von ungefähr: Der Staatszerfall Somalias begünstigt organisierte Kriminalität und Terrorismus. Die Piraterie ist nur ein Symptom dafür - und mit ein paar Fregatten allein schwer zu bekämpfen.

Von Wim Dohrenbusch, ARD-Hörfunkstudio Nairobi 

Wenn das Chaos einen Namen hat, dann muss es Somalia heißen. Staatszerfall, Terrorherrschaft von Warlords und Clan-Milizen, radikale Islamisten, eine machtlose Übergangsregierung. Kein Tag vergeht ohne Schießereien oder Bombenanschläge. Und das seit mittlerweile 18 Jahren, seit dem Sturz des letzten Staatschefs Siad Barre. Im Zentrum von Gewalt und Tod steht Mogadischu.

Afrikas Bagdad

Das Bagdad Afrikas nennt es Mohammed Hurre, der Initiator einer somalischen Friedensinitiative: "Mogadischu ist ein Dschungel, in dem jeder macht, was er will. Die Regierung hat keine Kontrolle. Aufständische operieren aus dem Untergrund. Alle haben Waffen, und die Gewalt eskaliert". Auch die neue, im Januar gewählte Regierung kontrolliert nur einen kleinen Teil des Landes. Den Rest beherrschen Clan-Milizen und radikalislamische Gruppen wie die "Al Shabaab" oder die noch junge "Hisb Al Islam".

Ein Schlaraffenland ist Somalia für diejenigen, die mit kriminellen Machenschaften das große Geld verdienen. Denn in einem Land ohne staatliche Strukturen gibt es keine Gesetze, keine Polizei und natürlich auch keine Küstenwache. Weil es auch keine Jobs in Somalia gibt, wundert es nicht, dass das Geschäft mit der Piraterie seit Jahren boomt.

Das gefährlichste Gewässer der Welt

"Die somalische Küste ist die gefährlichste Wasserstraße der Welt", sagt Pottengal Mukundan, der Chef des Internationalen Schifffahrtsbüros (IMB) mit Sitz in London und Kuala Lumpur. "Die Piraten können machen was sie wollen, und sie kommen fast immer ungeschoren davon."

Mehr als 50 sitzen zwar inzwischen in der kenianischen Hafenstadt Mombasa hinter Gittern, ein knappes Dutzend ist in den USA, Frankreich und Spanien in Untersuchungshaft, aber der Nachschub an jungen Männern, die für ein paar Hundert Dollar so gut wie alles machen, ist unerschöpflich.

Wettlauf zwischen Hase und Igel

Der Kampf der internationalen Gemeinschaft gegen das Freibeutertum vor der ostafrikanischen Küste gleicht dem Wettlauf zwischen Hase und Igel. Kaum mehr als zwei Dutzend Kriegsschiffe - NATO, EU-Operation "Atalanta", Fregatten und Zerstörer aus Russland, China, Indien und Südkorea - müssen ein Revier überwachen, das deutlich größer ist als das Mittelmeer. Das Operationsgebiet der Piraten erstreckt sich vom Golf von Aden nach Westen Richtung Seychellen bis vor die Küste Tansanias im Süden.

Während die versammelte Marine von erfolgreicher Abwehr von Überfällen und Festnahmen berichtet, wartet die Internationale Schifffahrtsbüro mit anderen Zahlen auf: Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der Piraten-Angriffe in den letzten Monaten verzehnfacht. Meistens benutzen die Piraten wendige Schnellboote und greifen die Schiffe mit Maschinengewehren und Panzerfäusten an.

"Große Haie" als Hintermänner?

Der Kenianer Andrew Mwangura, Sprecher einer Ein-Mann-Organisation namens Seefahrer-Hilfsprogramm, weiß meistens als erster von den Überfällen. Er geht davon aus, dass somalische Clan-Milizen mit Einfluss bis in Regierungskreise an den Entführungen beteiligt sind: "Die Hintermänner der Piraten sind ganz große Haie. Sie operieren von Europa, Amerika oder von der arabischen Halbinsel aus. Sie haben Netzwerke mit internationalen Kontakten, und es sind sehr reiche Leute."

Lösegeldverhandlungen werden telefonisch geführt. Mal wechseln Geldkoffer in Hotels europäischer Hauptstädte die Besitzer, mal werden Säcke voller Banknoten in Schlauchbooten auf hoher See ausgeliefert oder aus Hubschraubern abgeworfen. Annähernd 100 Millionen Dollar Beute haben die Syndikate nach Einschätzung von Experten in den letzten Jahren erpresst.

Wirtschaftsfaktor für eine ganze Region

In Piratennestern wie den somalischen Hafenstädten Harardere, Hobyo, Eyl oder Bosasso werden stattliche Villen gebaut, davor stehen teure Geländewagen. Rund um das Kerngeschäft hat sich eine regelrechte Dienstleistungsindustrie entwickelt. Selbsternannte Vermittler gehören ebenso dazu wie Köche, Boten oder Wachen. Manche der jungen Männer mit ihren Kalaschnikows betrachten das Banditentum sogar als eine Art ausgleichender Gerechtigkeit.

"Wir sind Piraten geworden, weil der Fischfang nichts mehr einbringt. Die großen Schiffe vertreiben den Fisch", sagt ein vermummter und mit über der Brust gekreuzten Patronengurten geschmückter Somali. "Deshalb verlangen wir jetzt Lösegeld als eine Art Steuer, aber wir tun niemandem etwas zuleide."

Beute für den Heiligen Krieg

Mit Robin-Hood-Romantik à la Hollywood - den Reichen nehmen, und den Armen geben - hat das alles jedoch nichts zu tun. Vielmehr sehen Geheimdienstler inzwischen eine ganz andere, viel größere Gefahr. Es gibt offenbar Anhaltspunkte, dass die Piraten mit den radikal-islamischen Milizen zusammenarbeiten. Terrorgruppen hätten damit eine entscheidende Seefront gegen die westlichen Staaten eröffnet, lautet eine CIA-Einschätzung. Die Terroristen wollten die für den Westen lebenswichtigen Handelsverbindungen unterbrechen.

Ein Sprecher der Al Shabaab erklärte neulich, die Piraten "verteidigen die Küste gegen die Feinde Allahs". Schmutziges Geld für den Heiligen Krieg: Osama Bin Laden lässt grüßen.

Elend an Land und bedrohte Helfer

Angesichts der spektakulären Überfälle auf hoher See ist das Elend an Land fast in Vergessenheit geraten. Immer wieder werden Entwicklungshelfer, Diplomaten, Journalisten oder Ordensschwestern in Somalia Opfer von Entführungen und Anschlägen. Nachdem drei Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen von einer Bombe zerfetzt wurden, hat die Hilfsorganisation ihre Arbeit in Somalia eingestellt.

"Niemand mehr kann hier seine Aufgabe erfüllen", klagt ihr Präsident Christoph Fournier. "Wir erwarten keinen besonderen Schutz. Aber die Kriegsparteien müssen unsere neutrale Position und den humanitären Einsatz respektieren." Drei Millionen Somalier hungern, mehr als 6.000 Menschen sind im vergangenen Jahr ums Leben gekommen.

Ein gemäßigter Islamist als Hoffnungsträger

Die Erkenntnis, dass das Problem der Piraterie nicht mit Kriegsschiffen allein auf hoher See gelöst werden kann, scheint sich langsam auch bei der internationalen Gemeinschaft durchzusetzen. Auf einer Geberkonferenz im April bekam die somalische Regierung Zusagen über mehr als 200 Millionen Dollar. Denn die Seeräuberei sei "ein Symptom der Anarchie und der Unsicherheit auf dem Land“, erklärte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon.

Vor allem der gemäßigte Islamist Sheik Scharif Achmed, der seit Jahresbeginn neuer Präsident Somalias ist, darf sich freuen. Ironie der Geschichte: Noch vor zwei Jahren wurde der Mittvierziger von dem Amerikanern dem Umfeld des Al-Kaida-Terror-Netzwerks zugerechnet und war vorübergehend von US-Truppen festgenommen worden.