Reeder und Experten beraten Was tun gegen Piraten?
In Hamburg beraten ab heute Reeder und Sicherheitsexperten über die Gefahren von Piraterie und Terrorismus. Immer wieder werden auch deutsche Schiffe entführt. Reeder und Politik sind alarmiert, streiten aber über die richtigen Maßnahmen. tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.
In welchen Meeren der Welt ist es derzeit am gefährlichsten?
Am stärksten von der Piraterie betroffen sind Ostafrika, der Golf von Aden, der Indische Ozean mit dem angrenzenden Arabischen Meer sowie die Straße von Malakka, die Straße von Singapur und das südchinesische Meer. Doch auch im südlichen und westlichen Afrika sind Piraten aktiv.
Wie viele Schiffe sind momentan entführt?
Die meisten Entführungen durch Piraten gibt es weiter an der Küste Ostafrikas. Nach Angaben der Marine-Mission "Atalanta" (siehe Infobox) waren Anfang Juni noch 21 Schiffe mit geschätzt 464 Mann Besatzung in der Gewalt von Piraten. Im Mai waren es 25 Schiffe, im April 28. Der Trend ist also leicht rückläufig. Seit Jahresanfang wurden allein elf Schiffe entführt, allerdings werden in den nächsten Monaten wahrscheinlich keine oder nur wenige Schiffe hinzukommen.
Gegen die Piraten am Horn von Afrika läuft seit Ende 2008 die EU-Mission "Atalanta". Benannt ist sie nach der griechischen Sagengestalt Atalanta, einer Jägerin. Wichtigste Aufgabe der EU-Mission ist es, Lebensmittellieferungen des Welternährungsprogramms nach Somalia vor Piratenüberfällen zu schützen. Kommerzielle Frachter, die das gefährliche Seegebiet am Horn von Afrika durchqueren müssen, können "Atalanta" bei einem Angriff aber ebenfalls zu Hilfe rufen.
Die Zusammensetzung der Flotte wechselt ständig, weil viele Staaten nur für einige Monate dabei sind und danach von anderen Truppenstellern abgelöst werden. Auch Deutschland ist vor Somalias Küsten aktiv. Derzeit ist die Bundeswehr mit etwa 270 Soldaten an Bord der Fregatte "Augsburg" vertreten - das Schiff hat auch zwei Hubschrauber an Bord. (Stand Juli 2013)
Helikopter können auch für Angriffe auf Boote, Waffen- und Treibstofflager der Seeräuber genutzt werden, die sich an Land befinden. Wörtlich heißt es dazu im Mandat: "Deutsche Einsatzkräfte dürfen bis zu einer Tiefe von maximal 200 Metern gegen logistische Einrichtungen der Piraten am Strand vorgehen." Ein Einsatz am Boden ist weiterhin - bis auf Notfälle - ausgeschlossen.
Die Kommandozentrale von "Atalanta" liegt im britischen Northwood.
Warum werden im Sommer weniger Schiffe entführt?
Das liegt am einsetzenden Südwest-Monsun im Indischen Ozean: Bis zu sechs Meter hohe Wellen hindern die Piraten in den nächsten Monaten an den Beutefahrten. Der Einsatz ihrer kleinen Angriffsboote ist in weiten Seegebieten eingeschränkt. Die Route von Europa durch den Suezkanal nach Ostasien ist damit vorübergehend weniger gefährdet.
Wie groß ist der wirtschaftliche Schaden durch Piraterie?
Für eine Exportnation wie Deutschland, die einen Großteil ihres Handels auf dem Seeweg abwickelt, ist der potenzielle Schaden riesig. "Deutsche Reedereien setzen die meisten Containerfrachter weltweit ein", sagte die Hamburger Sicherheitsexpertin Patricia Schneider gegenüber tagesschau.de. "Deutschland betreibt insgesamt die drittgrößte Transportflotte weltweit, hinter Griechenland und Japan und noch vor China. Dadurch besteht auch ein gesteigertes Risiko, von Piraten überfallen zu werden: Direkt oder indirekt waren sie 2010 am häufigsten betroffen, insgesamt 45 Mal. Entweder fuhren die Schiffe unter deutscher Flagge oder Reederei, Eigner oder Mannschaftsmitglieder waren Deutsche." Zugleich gefährde Piraterie aber auch den Zustrom von Rohstoffen nach Deutschland, führt Schneider aus.
Weltweit schätzen Experten die Kosten, die durch Piraterie entstehen, auf bis zu zwölf Milliarden Dollar pro Jahr. Das Lösegeld, das in vielen Fällen die einzige Möglichkeit bleibt, Schiffe und Besatzungen aus den Händen der Piraten zu befreien, beläuft sich auf mehrere Millionen Dollar pro Schiff.
Wie reagiert die deutsche Politik?
Die Bundesrepublik beteiligt sich mit Schiffen und Personal an der "Atalanta"-Mission gegen die Piraten vor Ostafrika. Der Schutz von kommerziellen Schiffen gehört aber nicht zu den eigentlichen Aufgaben der Mission.
Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann sprach sich daher für den Einsatz der Bundeswehr-Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) gegen die Piraten aus. "Die Befreiung von Geiseln auf entführten Schiffen deutscher Reedereien ist das Einsatzgebiet hierauf trainierter Spezialkräfte", so Schünemann mit Blick auf die KSK und die Einheit GSG 9. Notfalls müsse man die Piraten auch an Land verfolgen dürfen, so der CDU-Politiker weiter.
Der maritime Koordinator der Bundesregierung, Hans-Joachim Otto, empfahl, die Route durch den Suezkanal und an Ostafrika vorbei komplett zu vermeiden und stattdessen um das Kap der Guten Hoffnung zu fahren. Anfang des Jahres plädierte er dafür, das Seegebiet vor dem Horn von Afrika für die kommerzielle Schifffahrt zu sperren. Die Reeder protestierten, dass dies Mehrkosten von jährlich drei Milliarden Dollar verursachen würde. Die Reise von Europa nach Asien würde sich durch den von Otto vorgeschlagenen Umweg um etwa eine Woche verlängern, und sich um einen sechsstelligen Betrag verteuern.
Wie reagieren die deutschen Reeder?
Als Anfang des Jahres bei einem Zwischenfall ein Besatzungsmitglied der "Beluga Nomination", eines Frachtschiffs mit deutschem Eigner, durch Piraten getötet wurde, forderten die deutschen Reeder die Politik zum Eingreifen auf: Diese sollte Soldaten oder Polizisten auf Handelsschiffe schicken. 17.000 gefährdete Passagen gebe es pro Jahr, so der Reederverband.
Andere Schiffseigner heuern bewaffnetes Sicherheitspersonal an, rüsten mit Stacheldraht an der Reling, mit Schallkanonen und mit Stinkbomben auf. Auch diese Maßnahmen machen die Passage wieder teurer.
Die 1700 deutschen Schiffe haben fast durchgehend Sicherheitsräume, in die sich die Besatzung zurückziehen kann, wenn das Schiff geentert wird. Kosten: laut Reederverband insgesamt 17,7 Millionen Euro. Allerdings bieten auch diese Sicherheitsräume keinen hundertprozentigen Schutz vor den Piraten. Der Hamburger Reeder Peter Krämer fordert radikale Maßnahmen: In den am schlimmsten betroffenen Gebieten sollten Flugzeug- oder Hubschrauberträger kreuzen, um die Piraten zu bekämpfen.
Warum reicht es nicht, die Piraten auf See zu bekämpfen?
Die meisten Piraten, die vor dem Horn von Afrika kreuzen, stammen aus Somalia. Das nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg bettelarme Land gilt als "gescheiterter Staat". Nach Ansicht von US-Admiral Robert Willard lassen sich die Entführungen auf See nur dann stoppen, wenn sich die Piraten nicht mehr an Land in sichere Verstecke zurückziehen können.
Die internationale Gemeinschaft müsse Somalia dabei helfen, "nicht länger der unregierbare Staat zu sein, der es derzeit ist", so Willard weiter, der die Pazifikstreitkräfte der USA führt. Nur so lasse sich das Problem der Piraterie an der Wurzel packen.
Gibt es Verbindungen von Piraten zu Terrornetzwerken?
Nach Angaben der Hamburger Sicherheitsexpertin Schneider gibt es bislang lediglich Verdachtsmomente in diese Richtung: "Befürchtet wird, dass sich die Piraten ihre Operationsfreiheit damit erkaufen, Waffen und Kämpfer zu schmuggeln und Kämpfer in Marinetaktiken zu trainieren, aber vor allem diese durch einen Anteil am Profit mitzufinanzieren. Terroristen wiederum könnten aus Profitgründen selbst Piraterieakte begehen."
Die deutsche Handelsflotte unterliegt laut Schneider wegen des deutschen Engagements in Afghanistan "einer abstrakten Gefährdung. Allerdings gibt es keine Hinweise auf konkret geplante Anschläge in diesem Bereich."
Zusammengestellt von Christian Radler, tagesschau.de