Interview mit Bürgermeister Paes Schafft Rio das bis Olympia?
An der U-Bahn wird noch immer gebaut, das Land befindet sich in einer schweren Krise - kurz vor Olympia gibt es in Rio viele Probleme. Bürgermeister Paes ist sich im tagesschau.de-Interview aber sicher: "Viele spüren den positiven Einfluss von Olympia bereits heute."
tagesschau.de: In drei Monaten ist Rio de Janeiro Gastgeber der Olympischen Spiele. Liegen die Bauarbeiten im Zeitplan, wird etwa die neue U-Bahn rechtzeitig fertig?
Eduardo Paes: Sie müssen unterscheiden zwischen den Olympia-Baustellen und den Infrastruktur-Projekten, also dem olympischen Vermächtnis. Bei den Spielstätten liegen wir gut im Zeitplan. Lediglich beim Velodrom gab es einige Verzögerungen, aber auch das wird bis Ende Mai fertig.
Bei der Infrastruktur ist das etwas anders: Da planen wir eine Zusatzspur über 160 Kilometer für Schnellbusse und eine Tramlinie von 26 Kilometern. Der Staat Rio baut außerdem die 16 Kilometer U-Bahn-Strecke in den Stadtteil Barra da Tijuca. Aber trotz Verzögerungen: Auch die neue U-Bahn stellen wir bis zu den Spielen fertig.
tagesschau.de: Kritiker sagen, es wird vor allem in Gegenden investiert, die ohnehin boomen - wie das Olympia-Viertel Barra da Tijuca. Was haben die einfachen Menschen von den Spielen?
Paes: Wir haben die olympischen Stätten in Barra errichtet, weil wir keine Steuergelder verschwenden wollten. Hier konnten wir das Gelände gemeinsam mit privaten Investoren entwickeln. Das olympische Dorf wird von einem Investor gebaut, der das Gelände hinterher weiter nutzt - ganz ohne öffentliche Gelder. Viele Investitionen konnten wir nur wegen Olympia machen. Auch die neue Infrastruktur nutzt vor allem den Armen, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind. Andere Viertel haben erstmals eine Wasser- und Abwasserversorgung bekommen. Das war seit 150 Jahren nötig - wir haben es angepackt.
Eduardo Paes ist seit 2009 Bürgermeister von Rio de Janeiro, der mit gut sechs Millionen Einwohnern zweitgrößten Stadt Brasiliens. Er wuchs selbst in Rio auf - in einem der wohlhabenderen Viertel der Stadt. Paes gehört der PMDB an, derselben Partei, wie Vizepräsident Michel Temer.
"Es ging uns nie darum, die informellen Siedlungen zu verstecken"
tagesschau.de: Andererseits gibt es auch die Verlierer von Olympia: Die Favela Vila Autódromo wurde abgerissen, weil sie in der Nähe der Sportstätten liegt. Warum war das nötig?
Paes: Es gab in der Favela keine Zwangsräumungen, das ist wichtig. Die meisten der 600 Familien haben eine Entschädigung erhalten, damit sie umziehen. Einige konnten sogar bleiben: Sie bekommen nach Olympia neue Häuser auf dem alten Gelände. Es ging uns nie darum, die informellen Siedlungen zu verstecken. Das ist in Rio auch gar nicht möglich. Die Räumung war vielmehr eine Frage der Infrastruktur: Dort sollte ein Zugangsweg zum Olympiagelände entstehen.
tagesschau.de: Die olympischen Segelwettbewerbe finden in der stark verschmutzten Guanabara-Bucht statt. Wie gefährlich ist das für die Sportler?
Paes: Der Bundesstaat Rio hat sich verpflichtet, die Bucht zu 80 Prozent vom Müll zu säubern. Das ist uns nicht ganz gelungen. Aber wir arbeiten weiter daran. Für Olympia ist das aber kein Problem, denn die Wettbewerbe finden am Eingang der Bucht statt, der von dem Müllproblem nicht betroffen ist. Die Sportler haben also nichts zu befürchten.
tagesschau.de: Die Bilder des eingestürzten Olympia-Radwegs mit zwei Toten gingen um die Welt. Welche Verantwortung tragen Sie für das Unglück?
Paes: Für die Einsturz des Radweges fühle ich mich schon verantwortlich und bedauere das sehr. Aber ich bin auch kein Ingenieur und habe die Planungen nicht gemacht. Brasilien hat sicher seine Probleme, nur die haben andere Länder auch. Was ist mit dem Flughafenbau in Berlin? Wer ist dafür verantwortlich?
Immerhin lernen wir aus unseren Fehlern: Das zeigt sich auch daran, dass gerade viele Politiker wegen Korruption angeklagt werden. Das ist ein neuer Prozess und ein großer Fortschritt. Zum ersten Mal in Brasiliens Geschichte werden auch reiche und mächtige Männer verhaftet.
"Zwischen den Spielen und der Krise unterscheiden"
tagesschau.de: Als Rio den Zuschlag für Olympia bekam, ging es Brasiliens Wirtschaft bestens. Heute stecken Wirtschaft und Politik des Landes in einer tiefen Krise. Ärgert Sie das?
Paes: Ich denke, das wird die Olympischen Spiele nicht beeinflussen: Die Menschen können sehr wohl zwischen den Spielen und der Krise unterscheiden. Das ist eine ganz andere Situation als vor der Fußball-Weltmeisterschaft, als das Gefühl vorherrschte: Wir brauchen die WM nicht. Die Menschen gingen auf die Straße gegen die Korruption und für eine bessere Verwaltung. Vor Olympia gibt es trotz der massiven Wirtschaftskrise keine Proteste.
tagesschau.de: Rio de Janeiro zahlt aktuell keine Gehälter mehr aus, das hat keinen Einfluss auf Olympia?
Paes: Das ist ein Problem des Bundesstaates. Dieser kann seine Angestellten und Beamten derzeit nicht bezahlen. Die Stadt Rio de Janeiro, die für die Olympischen Spiele verantwortlich ist, steht wirtschaftlich gut da und hat solche Probleme nicht.
tagesschau.de: Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff steht unmittelbar vor einer Amtsenthebung, sie soll öffentliche Mittel fehlverwendet haben. Wer wird die Spiele nun eröffnen?
Paes: Aus Höflichkeit möchte ich die Frage eigentlich nicht beantworten. Aber derzeit sieht vieles danach aus, dass der Senat der vorübergehenden Suspendierung zustimmt. Dann übernimmt der Vizepräsident Michel Temer die Amtsgeschäfte. Die aktuelle politische Krise liegt vor allem an der Unfähigkeit der Präsidentin, Koalitionen zu schmieden. Auch das ist eine ganz andere Situation als vor der WM. Viele spüren den positiven Einfluss von Olympia bereits heute.
Das Interview führte Peter Neitzsch für tagesschau.de.