Sogenannte Magic Mushrooms

Rauschmittel als Medizin Zwischen High und Heilung

Stand: 21.04.2023 16:38 Uhr

Ecstasy und Magic Mushrooms sind weit verbreitete Drogen - Bestandteile davon nun auch wirksame Arzneimittel. Als erster Staat der Welt gibt Australien MDMA und Psilocybin ab Juli für psychiatrische Behandlungen frei.  

Michael Raymond hat 16 Jahre als Ingenieur für die australische Luftwaffe gearbeitet. Wegen schwerer Depressionen und einer posttraumatischen Belastungsstörung wurde er frühverrentet. Er beging mehrere Selbstmordversuche.

Die Therapie mit Drogen habe sein Leben gerettet, sagt er: "Mir hat es wirklich geholfen, eine Menge Barrieren zu überwinden, die ich in der Therapie hatte. Die Einnahme dieser Medikamente hat eine tiefere Veränderung ermöglicht. Meine Lebensqualität ist heute besser."

Er spricht inzwischen für die Organisation "Mind Medicine Australia", die stark für die Zulassung von MDMA und Psilocybin in Australien lobbyiert hat.  

"Kontrolliert" statt "verboten"

Australien ist das weltweit erste Land, das solche Substanzen für psychiatrische Behandlungen freigibt. Statt in Kategorie 9 (verbotene Substanzen), werden MDMA und Psilocybin ab dem 1. Juli in Kategorie 8 (kontrollierte Drogen) gelistet.

Psilocybin ist ein Bestandteil von sogenannten "magic mushrooms", also halluzinogenen Pilzen. MDMA ist ein Bestandteil von Ecstasy. 

 

Ecstasy-Pillen in verschreibungspflichtiger Dose

MDMA-Pillen sollen Menschen mit Depressionen helfen. Doch manche Mediziner halten die Zulassung für verfrüht.

Nicht alle Experten stimmen zu

Die Neuropsychologin Susan Rossell von der Swinburne Universität in Melbourne war schockiert, als die australische Regulierungsbehörde für therapeutische Mittel ihre Entscheidung im Februar verkündete. Rossell leitet die größte Studie zu Psilocybin in Australien und wird sonst regelmäßig von der Behörde um Rat gefragt.

Noch stehe die Wissenschaft in Australien am Anfang ihrer Forschung, besonders bei MDMA, kritisiert Rossell. Es gebe keine langfristigen Studien. Daher halten sie und andere Forscher die Zulassung für zu früh.

Sie sagt aber auch: Der Einsatz von MDMA und Psilocybin in Therapien könne vielen Menschen helfen. "Menschen mit psychischen Krankheiten stecken fest. Ihre Gedanken gehen immer in die gleiche Richtung. Was wir machen können, wenn das Gehirn sich öffnet, ist, wir können es neu programmieren. Also einige der Gedankenmuster loswerden, die sehr negativ oder sehr zwanghaft sind."

Die Erlaubnis gilt nur für einen kleinen Kreis

Zugelassen sind die Drogen erstmal nur für Menschen mit bestimmten psychischen Erkrankungen: MDMA für posttraumatische Belastungsstörungen und Psilocybin für bisher nicht therapierbare Depressionen.

Der Psychologe Stephen Bright stellt klar, dass der medizinische Umgang mit den Drogen ganz anders sei als bei der illegalen Einnahme als Party-Droge. "MDMA wird typischerweise mit Raves, Festivals und 'Duff-Duff'-Musik in Verbindung gebracht, bei denen die Leute Spaß haben. Menschen, die unter dem Einfluss von MDMA in dieser Behandlung stehen, haben keinen Spaß."

Eine Sache von vielen Stunden

Rund acht Stunden dauert eine Therapiesitzung, dazu kommt eine aufwändige Vor- und Nachbereitung. Während der Sitzung arbeiten zwei Therapeuten die inneren Probleme mit dem Patienten auf.

Bei der Einnahme von MDMA werde viel geredet, da die Patienten sich stärker öffnen, erklärt Neuropsychologin Susan Rossell. Psilocybin verursache intensivere körperliche Reaktionen: "Die Wahrnehmung der Patienten verändert sich, sie haben Halluzinationen, befinden sich in einer Art Wach-Traum."

Manchmal folgt ein "bad trip"

Einem Drittel der Patienten gehe es nach der Therapie deutlich besser. Studien in den USA sprechen sogar von rund 70 Prozent der Patienten. Doch bei einigen wirken die Drogen anders - statt eines Höhenflugs, bekommen sie Angstzustände, sagt Rossell: "Sie haben einen 'bad trip' und der ist ziemlich schrecklich. Wir hatten schon Menschen, die völlig zusammengebrochen sind und den ganzen Tag in der Embryonalstellung zusammengerollt, schluchzend und weinend verbracht haben. Es ist beängstigend für sie."

Ihrer Erfahrung nach gehe es einem von zehn Studienteilnehmern so. Die Forschung sei noch nicht so weit zu sagen, bei wem die Therapie wirke und bei wem nicht. Generell sei die Wirkung von MDMA besser erforscht als von Psilocybin. 

Die Krankenkassen halten sich noch zurück

Auch noch unklar sind die Kosten und die Verfügbarkeit. Schätzungen gehen von umgerechnet rund 15.000 Euro pro Behandlung aus. Bisher hat nur eine Krankenkasse in Australien angekündigt, die Übernahme der Kosten zu prüfen.

Psychologe Stephen Bright sorgt sich, dass nur wohlhabende Menschen Zugang zu den Behandlungen haben werden. "Die Menschen, die sie am meisten brauchen, haben wahrscheinlich nicht das Geld, um sie zu bekommen." Zudem gibt es in Australien gerade mal eine Handvoll Psychiater und Therapeuten, die für die Behandlung ausgebildet und zertifiziert sind.  

Viele Erkrankte warten auf Behandlung

Der Bedarf an neuen Behandlungsmöglichkeiten für Depression und andere psychische Erkrankungen sei auf jeden Fall groß, sind sich die Wissenschaftler einig. Die Zahl der Betroffenen habe sich in Australien während der Corona-Pandemie verdoppelt. Umfragen zeigen, dass jeder zweite Australier im Laufe seines Lebens einmal Probleme mit seiner geistigen Gesundheit hat.

Die Forschung zu psychedelischen Substanzen geht daher weiter - auch für Krankheitsbilder wie Magersucht, Alkoholsucht oder Angstzustände, etwa bei Menschen mit Krebs im Endstadium. 

Jennifer Johnston, Jennifer Jonston, ARD Singapur, 21.04.2023 12:10 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 21. April 2023 um 08:37 Uhr.