Nord Stream 2 Sind die US-Sanktionen berechtigt?
Obwohl Deutschland längst große Mengen Gas aus Russland bezieht, verhängen die USA Sanktionen gegen Nord Stream 2. Die Ziele Washingtons und die Strategie Deutschlands erklärt Energieanalystin Westphal im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Warum verhängen die USA jetzt Sanktionen gegen Nord Stream 2, obwohl Deutschland schon lange Gas aus Russland bezieht - beispielsweise über den Landweg über die Ukraine?
Kirsten Westphal: Deutschland bezieht schon sehr lange Gas aus Russland und genauso lange hat es Tradition, dass die USA gegen diese Pipeline-Projekte Einspruch erheben. Schon die alten Erdgas-Röhren-Deals mit der Sowjetunion standen unter massiver Kritik. Und so ist auch Nord Stream 2 den USA ein Dorn im Auge. Erst recht aufgrund der geo- und sicherheitspolitischen Lage, die sich nach der Annexion der Krim und der Krise in der Ostukraine noch einmal stark verschoben hat.
Kirsten Westphal leitet das Projekt "Geopolitik der Energiewende" bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen globale Energiefragen und Versorgungssicherheit bei Erdöl und Erdgas.
"Das ist auch ein geopolitisches Projekt"
tagesschau.de: Ist das glaubhaft, wenn die USA mit der Ukraine und der Annexion der Krim argumentieren?
Westphal: Nord Stream 2 wurde geopolitisch tatsächlich zu einem sehr sensiblen Zeitpunkt beschlossen, 2015, ein Jahr nach der Ukraine-Krise und der Annexion der Krim. Es gab Aussagen aus dem Kreml und von Gazprom, dass es Ziel sei, die Ukraine zu umgehen. Insofern ist es nicht ganz falsch, das auch als geopolitisches Projekt zu bezeichnen. Auch im Hinblick auf die sicherheitspolitischen Sorgen vieler osteuropäischer Staaten sagen die USA: "Das ist ein Unding, in der jetzigen geopolitischen Situation so ein großes Projekt zu realisieren."
Aber es ist natürlich auch ein wirtschaftliches Projekt. Die USA sind selbst ein großer Erdgas-Produzent geworden und suchen letztlich auch neue Märkte für ihr Flüssiggas LNG, das durch die Fracking-Technologie gewonnen wird.
Und nicht zuletzt gibt es auch noch ein innenpolitisches Motiv, das entscheidend ist. Sanktionen gegen Nord Stream 2 sind eines der wenigen Themen, wohinter sich eigentlich fast alle Parteien in Washington versammeln können.
"Deutschland fährt eine Doppelstrategie"
tagesschau.de: Ist es doppelzüngig von Deutschland, einerseits Sanktionen gegen Russland zu unterstützen und andererseits Nord Stream 2 zu bauen?
Westphal: Deutschland hat immer versucht, hier eine Doppelstrategie zu fahren. Gegenüber Russland hat man die allgemeinen Sanktionen unterstützt als Teil einer Eindämmungsstrategie. Dabei ging es Deutschland um den Zusammenhalt in Europa. Und auf der anderen Seite hat man Russland gegenüber signalisiert: "Wir wollen in Teilen weiter kooperieren - und zwar im Energiebereich, denn Russland ist ein natürlicher Energiepartner und eine Diversifizierung von Routen trägt zu mehr Energiesicherheit bei."
Und mit Blick auf die Ukraine gibt es die Doppelstrategie der Kanzlerin, zu sagen: "Wir wollen zwar den Bau der Nord Stream 2, wir wollen aber auch sicherstellen, dass weiterhin Transitmengen durch die Ukraine laufen."
tagesschau.de: Was ist dran an dem Vorwurf, Deutschland mache sich abhängig von russischem Gas?
Westphal: Den sehe ich in der jetzigen Marktsituation als unbegründet an. Die globalen Märkte sind sehr gut versorgt, nicht nur durch Pipeline-Gas. Wir haben einen Überfluss an Angeboten. Ausfallende Mengen könnten sehr schnell ersetzt werden. Insofern erwächst aus dieser Pipeline auch kein politisches Druckmittel. Im Gegenteil. Eine weitere Pipeline schafft eher mehr Flexibilität.
"Osteuropäische Länder haben andere historische Erfahrung"
tagesschau.de: Warum wehren sich viele osteuropäische Länder so heftig gegen Nord Stream 2?
Westphal: Weil die osteuropäischen Länder historisch die Erfahrung gemacht haben, zum Teil hundertprozentig abhängig von russischem Gas zu sein, was auch mit einer tatsächlichen politischen Instrumentalisierung einher ging. Und sie haben die Erfahrung gemacht, dass über Gaslieferungen Druck ausgeübt worden ist, vor allem durch höhere Preise.
Ein anderes Argument ist, dass in Europa im Rahmen der Energieunion beschlossen wurde, mehr in Diversifizierung der Energiequellen zu investieren, also weg zu kommen von russischem Gas. Aber Deutschland macht einfach, was es will, und verfestigt die Energiebeziehungen zu Russland. Da hat Deutschland vielleicht tatsächlich versäumt, mehr mit diesen Ländern im Dialog zu bleiben.
Andererseits haben wir vitale Interessen an dieser Pipeline. Wir haben eine Industrie, die mehr als in anderen Mitgliedsstaaten wirklich noch günstiges Erdgas braucht: die petrochemische Industrie, Großbäckereien, Porzellan- und Glasindustrie. Und wir haben den Kohle- und Kernenergieausstieg beschlossen. Daran hängen auch die Preise für die Endverbraucher und insofern gibt es aus wirtschaftlicher Sicht sehr gute Argumente für die Pipeline.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.