Unruhen in Nicaragua "Wir kämpfen, bis die Diktatur besiegt ist"
Seit Monaten gibt es in Nicaragua Proteste gegen Präsident Ortega, der immer brutaler gegen seine Kritiker vorgeht. Erneut wurden Menschen getötet. Für heute hat die Opposition zu einem Generalstreik aufgerufen.
Aufgelöst und weinend steht Luisa Sanchéz vor dem Sarg ihres verstorbenen Sohnes. Er wurde erschossen, als er auf der Straße protestierte. "Am Tag vorher hat er mir noch gesagt: 'Mama, wenn ich sterbe, dann ist es für einen guten Zweck.' Es war die Polizei. Sie hat meinen Sohn getötet. Sie kommt hier ständig vorbei."
Die Revolution in Nicaragua frisst ihre Kinder. Staatspräsident Daniel Ortega war einst gefeiert - als Held, der zusammen mit der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront den damaligen Diktator Anastasio Somoza aus dem Land jagte. Knapp 40 Jahre später geht er selbst brutal gegen Kritiker vor. Fast täglich werden Tote gemeldet. Insgesamt mehr als 350 sollen es laut Menschenrechtlern sein. 1800 gelten als verletzt. In der vergangenen Nacht wurden laut Aktivisten mindestens fünf Menschen getötet.
Regelmäßige Massenproteste
Einschüchtern lässt sich die mehrheitlich studentische Bewegung davon nicht. Regelmäßig organisiert sie Massenproteste im Land. "Wir kämpfen weiter, bis die Diktatur besiegt ist!", ruft ein Student der Menge zu.
So brutal wie jetzt, ging es schon seit Mitte April nicht mehr zu. Da hatten sich die Unruhen ursprünglich wegen einer geplanten Sozialreform entflammt. Sicherheitskräfte und regierungstreue Paramilitärs wüten - und die Regierung lässt sie gewähren.
Landesweit gingen wieder Tausende Menschen in Nicaragua auf die Straße.
Attacken auf Geistliche
Selbst Geistliche werden zum Ziel von Angriffen. Vergangenes Wochenende hatten Hunderte Regierungsanhänger eine Gruppe von Priestern angegriffen. Dabei wurde auch Silvio José Báez verletzt. Er ist der Weihbischof von Managua und gilt als das Gesicht des friedlichen Protests: "Alle Gewalt muss aufhören. Der einzig richtige Weg ist über Frieden. Deswegen haben wir uns für den nationalen Dialog eingesetzt."
Den nationalen Dialog hatte die katholische Kirche als Vermittler zwischen Opposition und Regierung angestoßen. Praktisch findet er allerdings nicht statt. Ortega lehnt vorgezogene Präsidentschaftswahlen kategorisch ab. Das aber fordert die Gegenseite.
Der Politikwissenschaftler Oscar René Vargas sieht aktuell nur zwei Optionen: "Entweder Ortega bleibt. Das hieße für ganz Nicaragua einen enormen einen Rückschlag: Mehr Tote, mehr Arbeitslose, mehr Armut. Die andere Option: Eine Explosion der sozialen Bewegung. Eine starke Bewegung."
"Wir haben keine Angst", steht auf einem Protestplakat dieser sozialen Bewegung geschrieben. Für heute ist ein 24-stündiger Generalstreik angekündigt, weitere Proteste sollen folgen. Es bahnt sich eine Revolution gegen einen Präsidenten an, der selbst einst Revolutionär war.