Trauermarsch der russischen Opposition Zehntausende nehmen Abschied von Nemzow
Sie schwenken Fahnen, halten Fotos des ermordeten Kreml-Kritikers Nemzow in die Höhe. In Moskau zeigen Zehntausende Menschen bei dem Gedenkmarsch ihre Trauer. Nemzow war Freitagnacht in der Nähe des Kreml erschossen worden.
Nach dem Mord an dem russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow haben sich in Moskau Zehntausende Menschen zu einem Trauermarsch formiert. Sie kamen im Gedenken an den Ex-Vizeregierungschef in das Stadtzentrum - bewacht von einem Großaufgebot an Sicherheitskräften.
Auf Plakaten waren Aufschriften zu sehen wie "Ich fürchte mich - wer ist der Nächste?". Auf Transparenten waren Slogans wie "Er starb für die Zukunft Russlands" oder "Er kämpfte für ein freies Russland" zu lesen.
Die Stadtverwaltung hatte eine Kundgebung mit bis zu 50.000 Menschen genehmigt. Die Polizei gab die Zahl der Demonstranten mit rund 16.000 an. Die Nachrichtenagentur dpa schrieb von zehntausenden Demonstranten, Korrespondenten der Nachrichtenagentur AFP schätzten die Zahl der Teilnehmer auf mindestens 10.000. Mitorganisator Alexander Riklin sagte, es seien mehr als 70.000 Teilnehmer.
"Was ist aus Russland geworden?"
Der Marsch wurde vom Oppositionsführer und Ex-Regierungschef Michail Kasjanow organisiert. "Was ist aus Russland geworden?", fragte Kasjanow entsetzt im Radiosender Echo Moskwy. Die Tragödie um Nemzow zeuge davon, dass die Aggression zunehme in Russland.
Viele Wegbegleiter von Nemzow sprachen von einem großen Verlust für demokratisch denkende Menschen. Auf einen ursprünglich geplanten Marsch gegen die Politik von Kremlchef Wladimir Putin hatte die Opposition verzichtet.
Steinmeier: Enttäuschte nationalistische Kreise
Außenminister Frank-Walter Steinmeier forderte in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin eine schnelle Aufklärung der Tat. "Es herrscht die Befürchtung, dass der Krieg in der Ostukraine seine Schatten auf Russland wirft." Steinmeier sagte weiter: "Der Krieg in der Ukraine und das Engagement Russlands selbst hat eine Polarisierung innerhalb der russischen Gesellschaft zur Folge gehabt."
Nationalistische Kreise in Russland seien offenbar enttäuscht, dass es derzeit in der Ukraine eine "gewisse Ruhephase" gebe, sagte der Minister. Er wolle sich aber nicht an Spekulationen über die Täter beteiligen. Eine Aufklärung sei die einzige Möglichkeit für Putin, den Verdacht von der Führung abzuwehren, sagte Steinmeier. Allerdings gebe es Zweifel, ob bei früheren Morden an Dissidenten "mit der erforderlichen Transparenz" ermittelt worden sei.
Ukrainischer Abgeordneter vorübergehend festgenommen
Kurz vor Beginn des Trauermarsches wurde der ukrainische Abgeordnete Alexej Gontscharenko in Moskau festgenommen. Er teilte auf seiner Facebook-Seite mit, er sei festgesetzt worden, weil er ein T-Shirt mit dem Portrait Nemzows und dem Slogan "Helden sterben nicht" getragen habe.
Gontarschenko gehört zum Block des pro-europäischen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Laut dem Fernsehsender Rossija 24 wollen die russischen Behörden den Abgeordneten zu seiner Rolle bei der Brandkatastrophe in Odessa befragen. Bei den meisten Opfern des Brandanschlags handelte es sich um prorussische Aktivisten. Weder die Polizei noch die Justiz bestätigten dies.
Inzwischen wurde Gontscharenko wieder auf freien Fuß gesetzt. Er müsse aber am Montag vor Gericht erscheinen, teilte sein Anwalt mit. Ihm drohe eine neue Festnahme.
Überwachungsvideo veröffentlicht
Der Moskauer Fernsehsender TWZ veröffentlichte ein Überwachungsvideo vom Ort und zur Zeit der Tat. In der Aufnahme ist nach Darstellung des Senders zu sehen, wie sich Nemzow mit seiner Begleiterin in der Nähe des Kremls bewegt und von einem Mann verfolgt wird. Eine Kehrmaschine verdeckt dann die Sicht auf das Paar und den Mann. Wenig später ist zu sehen, wie der mutmaßliche Täter auf die Straße läuft, in ein Auto einsteigt und flüchtet. Etwa zehn Minuten danach trifft die Polizei ein.
Nemzows Begleiterin ist unverletzt. Die aus der Ukraine stammende Frau halte sich bei einem Bekannten von Nemzow in Moskau auf und stehe unter Polizeischutz, sagte ein Anwalt. Es handle sich um eine wichtige Zeugin. Die Frau wolle sobald wie möglich nach Kiew zurückkehren, teilte die ukrainische Regierung mit.
Die russischen Ermittler setzten eine Belohnung von umgerechnet rund 45.000 Euro für Hinweise auf den Täter aus, die zur Klärung des Falls führen. Das Innenministerium forderte mögliche Zeugen auf, sich zu melden.
Scharfer Gegner Putins
Nemzow gehörte zu den schärfsten Gegnern von Präsident Putin. Nur wenige Stunden vor seiner Ermordung hatte er seine scharfe Kritik an dem Kremlchef bekräftigt. "Der gewichtigste Grund der Krise ist, dass Putin eine sinnlos aggressive, für unser Land und für viele Bürger tödliche Politik des Krieges gegen die Ukraine begonnen hat", sagte der 55-Jährige in seinem letzten Interview. Die Anwesenheit russischer Truppen im Donbass nannte er "bewiesen".
Neben dem Trauermarsch in Mosku versammelten sich auch in St. Petersburg, der zweitgrößten Stadt des Landes, nach Polizeiangaben 6000 Demonstranten im Gedenken an Nemzow.