Nach dem Giftanschlag Nawalny sieht Putin hinter der Tat
Der Kremlkritiker Nawalny zeigt in einem Interview keine Zweifel, wer für seine Vergiftung verantwortlich ist: der russische Präsident. Nur dessen Geheimdienste hätten die Mittel dazu. Die Führung in Moskau reagierte empört.
Nach seiner Vergiftung hat der Kremlkritiker Alexej Nawalny in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Spiegel" den russischen Präsidenten Wladimir Putin für die Tat verantwortlich gemacht. "Ich behaupte, dass hinter der Tat Putin steht, und andere Versionen des Tathergangs habe ich nicht", sagte er. Nur die unter Putins direktem Befehl stehenden Chefs der Geheimdienste - der Inlandsgeheimdienst FSB, der Militärgeheimdienst GRU und der Auslandsgeheimdienst SWR - hätten Zugriff auf das tödliche Nervengift Nowitschok.
Der 44-Jährige kündigte an, nach Russland zurückkehren zu wollen. "Meine Aufgabe ist jetzt, der Typ zu bleiben, der keine Angst hat. Und ich habe keine Angst!" Er werde Putin nicht das Geschenk machen, sich aus dem Kampf in Russland zu verabschieden. Er habe die Parlamentswahl im kommenden Jahr fest im Blick und wolle dort das Machtmonopol der Kremlpartei "Geeintes Russland" brechen, so Nawalny.
"Putin hat ihm das Leben gerettet"
Russlands Führung bestreitet, dass es eine Vergiftung gegeben habe und spricht von einer Provokation. Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin, einer der engsten Vertrauten Putins, sagte in einer auf der Internetseite der Duma veröffentlichten Stellungnahme: "Putin hat ihm das Leben gerettet." Von den Piloten über die russischen Ärzte bis hin zum russischen Präsidenten hätten alle Nawalnys Leben gerettet. Wenn mit ihm wirklich etwas passiert sei, dann handele es sich um eine Inszenierung der westlichen Geheimdienste. Nawalny arbeite im Auftrag ausländischer Mächte, behauptete Wolodin.
Kreml: Äußerungen "nicht hinnehmbar"
Kreml-Sprecher Dimitri Peskow sagte der Nachrichtenagentur Interfax zufolge, die Schuldzuweisungen gegen Putin seien "absolut nicht zulässig" und entbehrten jeder Grundlage. Die Äußerungen seien beleidigend und "nicht hinnehmbar". In Russland macht sich strafbar, wer den Präsidenten beleidigt.
Russland sei interessiert an einer Aufklärung des Falls des "Berliner Patienten", ergänzte Peskow. Die russische Führung vermeidet es seit dem Giftanschlag mehr denn je, Nawalny beim Namen zu nennen. Laut Lesart des Kreml wurde Nawalny nicht vergiftet. Vielmehr erhalte er direkte Anweisungen des US-Geheimdienstes CIA. Der Kreml hält es auch für möglich, dass westliche Geheimdienste Nawalny vergiftet haben, um Russland international an den Pranger stellen zu wollen.
Der prominenteste Gegner von Kremlchef Putin wurde laut Analysen mehrerer Labore mit dem Nervengift der Gruppe Nowitschok vergiftet. Der Kampfstoff ist nach dem internationalen Verbot von Chemiewaffen geächtet. Russische Geheimdienstler und Regierungsmitglieder betonten mehrfach, dass alle Vorräte des zu Sowjetzeiten entwickelten Gifts vernichtet worden seien.
Dank an Deutschland
Nawalny durchläuft nach seiner Entlassung aus der Berliner Klinik Charité inzwischen eine Reha-Maßnahme, um wieder zu Kräften zu kommen. Er habe bisher keine Verbindung zu Deutschland gehabt, sei aber dem Land, den Menschen, den Ärzten und Merkel dankbar sei. Die Experten der Charité hätten es geschafft, seine Persönlichkeit wieder herzustellen.
Der Politiker war während eines Inlandsflugs in Russland zusammengebrochen und später zur Behandlung nach Deutschland gebracht worden. Wochenlang lag er dort im künstlichen Koma. Ein Bundeswehr-Speziallabor fand die Vergiftung mit dem Kampfstoff der Nowitschok-Gruppe heraus. Labors in Frankreich und Schweden bestätigten den Befund. Mit Spannung werden aktuell die Untersuchungsergebnisse der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) erwartet. Danach drohen Russland neue Sanktionen.
Überraschungsbesuch von Merkel
Der Fall hat auch die Spannungen in den deutsch-russischen Beziehungen noch einmal deutlich verschärft. Vergangene Woche erhielt Nawalny Besuch von Kanzlerin Angela Merkel. Auf seinen Dank hin habe sie seinen Worten zufolge entgegnet: "Ich habe nur getan, was meine Pflicht war."