Interview

UN-Tribunal zu Ex-Jugoslawien "Glorifizierung von Kriegsverbrechern"

Stand: 21.11.2017 19:52 Uhr

Das UN-Tribunal für Ex-Jugoslawien hat Geschichte geschrieben. Vor dem Urteil im letzten großen Kriegsverbrecher-Prozess in Den Haag gegen Ex-General Mladic zieht Chefankläger Brammertz eine gemischte Bilanz. Klar scheint: Eine Aussöhnung auf dem Balkan ist noch in weiter Ferne.

ARD: Das Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien schließt heute seinen letzten großen Fall ab - den Prozess gegen General Mladic. Was waren für Sie die größten Erfolge des Tribunals?

Serge Brammertz: Es hat 161 Verfahren gegeben. Das ist sehr viel im Vergleich zu anderen internationalen Gerichten. Aber es ist sehr wenig, wenn man bedenkt, dass noch immer viele Verfahren geführt werden müssen - allein etwa 5000 in Bosnien. Dennoch: Es hat eine wichtige Rolle gespielt, dass politisch Verantwortliche, dass Generäle, die den Krieg geführt haben, verurteilt werden konnten. Das Jugoslawien-Tribunal war das erste Kriegsverbrechertribunal seit Nürnberg.

Serge Brammertz
Zur Person
Der belgische Jurist Serge Brammertz ist seit 2008 Chefankläger des UN-Kriegsverbrechertribunals für Ex-Jugoslawien. Er hat u.a. die Anklagen gegen Radovan Karadzic und Ratko Mladic geführt

ARD: Welche Rolle hat der Tatbestand Völkermord hier am Gericht gespielt?

Brammertz: Die drei Zuständigkeitsbereiche des Gerichts sind natürlich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Es gibt eine ganze Reihe von Verurteilungen wegen Srebrenica, wo in wenigen Wochen bis zu 8000 Männer umgebracht, exekutiert wurden. Das wurde in der Tat als Völkermord bezeichnet.

Eine Reihe von Personen, auch Karadzic, wurde wegen Völkermord verurteilt, weil wir ihnen die Absicht nachweisen konnten, die bosnische Bevölkerung in ihrem Ganzen oder teilweise vernichten zu wollen.

Ratko Mladic vor dem UN-Tribunal in Den Haag

Ratko Mladic vor dem UN-Tribunal in Den Haag (Archivbild: Juni 2014)

Mladic und Karadzic - Architekten des Völkermords

ARD: Ist denn die Geschichte des Ex-Jugoslawien-Tribunals für Sie eine Erfolgsgeschichte?

Brammertz: Ich habe hier 2008 angefangen. Zwei Jahre zuvor war Milosevic gestorben - bevor sein Verfahren abgeschlossen werden konnte. 2008 war die größte Herausforderung, dafür zu sorgen, dass Karadzic und Mladic noch festgenommen werden. Und eigentlich waren alle eher pessimistisch, dass das überhaupt noch geschehen würde, bevor das Tribunal schließt. Es ist eine der größten Errungenschaften unseres Teams, dass es dann doch gelang, zunächst Karadzic festzunehmen und drei Jahre später dann General Mladic.

Beide werden als Architekten des Völkermords gesehen, beide sind nach unserer Meinung Hauptverantwortliche für die Belagerung der Stadt Sarajewo, für die Terrorisierung der Zivilbevölkerung mit mehr als 1000 Kindern, die durch Scharfschützen ums Leben gekommen sind.

Akzeptanz des UN-Tribunals war mal größer

ARD: Sind Sie zufrieden damit, wie in den Balkanländern mit der Kriegsgeschichte umgegangen wird? Wie ist denn die Akzeptanz des Tribunals vor Ort?

Brammertz: Es ist sicherlich so, dass in Teilen des ehemaligen Jugoslawiens die Urteile, die hier gefällt werden, nicht sehr gerne gesehen werden. Wir haben das in den letzten Jahren beobachtet: Wenn ein Urteil gegen einen Serben gefällt wird, werden Sie sehr viel Unmut in Serbien hören - und sehr viele gegenteilige Reaktionen in Bosnien. Und umgekehrt. Was darauf zurückzuführen ist, dass die Probleme, die es vor dem Krieg gab, unterschwellig auch heute noch da sind.

Ich persönlich habe den Eindruck, dass vor sechs, sieben Jahren die Akzeptanz des Tribunals größer war. Als die EU-Erweiterungsdiskussionen liefen, als es auch Druck der internationalen Gemeinschaft gab, hörte man sehr wenige Stimmen im ehemaligen Jugoslawien, die sich positiv über verurteilte Kriegsverbrecher äußerten. Was wir aber jetzt sehen, ist wirklich eine Verherrlichung der Kriegsverbrechen.

Kürzlich wurde der serbische General Lazarevic, der verurteilt ist wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Kosovo-Krieg, zum Professor an der Militär-Akademie ernannt. Mit dem Hinweis des Verteidigungsministers, dass er jemand sei, der wisse wie man Krieg führt, und dass man stolz darauf sein solle, was er in der Vergangenheit gemacht hat. Also, heute schämt man sich auf politischer Ebene nicht mehr, Kriegsverbrecher zu loben.

Es gibt ein Problem wohl auch im Verständnis dessen, wofür diese Personen verurteilt worden sind. Wir versuchen hier immer klar zu machen, dass sie nicht vor Gericht stehen, weil sie gegen andere Soldaten gekämpft haben. Sondern, weil sie die Genfer Konventionen verletzt haben.

Sie stehen vor Gericht, weil sie massiv Gefangene erschossen haben, weil sie Leute aus ihren Dörfern vertrieben, Dörfer zerstört und zugelassen haben, dass massiv Vergewaltigungen stattfanden. Sie wurden verurteilt, weil sie Anweisungen gegeben haben, dass Scharfschützen Zivilisten auf dem Weg zum Einkaufen, Kinder auf dem Spielplatz erschießen.

Nationalistische Tendenzen

ARD: Betrifft das denn nur Serbien, diese Verneinung, dieses Leugnen der Kriegsverbrechen?

Brammertz: Nein. Man sieht eine nationalistische Tendenz in verschiedenen Ländern. Sicherlich in Bosnien-Herzegowina, sicherlich in der Republica Srpska. Im dortigen Banja Luka wurde am Tag vor Karadzic Verurteilung zu 40 Jahren Haft wegen Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ein Universitätsgebäude nach ihm benannt.

Und wir sehen auch in Kroatien nationalistische Tendenzen. Dort hat zum Beispiel die letzte Regierung grundsätzlich entschieden, bestimmten Rechtshilfeersuchen nicht mehr nachzukommen - wenn sie etwa die Regierung, die im Krieg an der Macht war, erwähnen. Das sind Entwicklungen, die wir sehr bedauern.

ARD: Sie waren ja zu einer Art Abschiedstour auf dem Balkan. Was haben Sie da gespürt? Gibt es ein Interesse an weiterer Aufklärung?

Brammertz: Ich sehe auf politischer Ebene leider nicht sehr viel Vorwärtskommen. Im Gegenteil. Die Glorifizierung der Kriegsverbrecher ist alltägliches Geschäft. Hoffnung haben wir dennoch. Wir haben in den letzten Jahren mehr als 100 junge Staatsanwälte als Praktikanten hier gehabt. Das ist schon eine neue Generation, die gelernt hat, kritisch mit der Vergangenheit umzugehen.

Ich war in Kroatien vor zwei Wochen, wo ich auch verschiedene NGOs getroffen habe, junge Menschen, die sich für die Wahrheit engagieren. Und das sieht man in allen Ländern: eine Zivilgesellschaft, Initiativen, die der Wahrheitsfindung dienen und die sich für Gerechtigkeit und Justiz einsetzen. Leider Gottes sind die in der Minderheit.

Das Interview führte Judith Wedel, ARD-Studio Brüssel, für das Europamagazin der ARD.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 21. November 2017 um 15:00 Uhr.