Interview

Interview mit US-Historiker Zinn "Nach Bush wird ein Demokrat Präsident"

Stand: 27.08.2007 05:16 Uhr

US-Präsident Bush wird die republikanische Regierungspolitik soweit diskreditieren, dass in vier Jahren ein demokratischer Kandidat die Präsidentschaftswahl gewinnt. Diese Prognose stellt der US-Historiker Howard Zinn im Gespräch mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Die US-Gesellschaft erscheint nach dieser Wahl gespalten wie nie. Ist dieser Eindruck korrekt?

Howard Zinn: Das amerikanische Volk war immer gespalten, das ist eine Konstante unserer Geschichte. Das einzige, was sich ändert, ist das prozentuale Verhältnis der Gruppen. Ein Beispiel: 1964, zu Beginn des Vietnam-Kriegs waren 65 Prozent der Amerikaner für den Krieg, drei Jahre danach waren 65 Prozent der Amerikaner dagegen. Eine ähnliche Entwicklung beim Irak-Krieg zeichnet sich gerade ab.

tagesschau.de: Ein wichtiger Faktor der gegenwärtigen Spaltung ist die Frage der Religiösität. Evangelikale stehen gegen Moderate und Liberale. Ist das innerhalb der USA der Konflikt, auf den es in den nächsten vier Jahren hinausläuft?

Zinn: Das lese ich auch so in der Zeitung. Aber ich glaube, die Berichte über Religion als definierenden Faktor sind übertrieben. Die Evangelikalen sind nicht die Mehrheit. Wenn andere Motive für Wahlentscheidungen unklar sind, rückt Religion mit ihrer definitorischen Klarheit in den Vordergrund.

Desaströse Bilanz der Regierung Bush

tagesschau.de: Wie denken Sie über Bushs erste Amtszeit? Wie sieht bislang das Kapitel "George W. Bush" in Ihrem Geschichtsbuch aus?

Zinn: Zwei Kriege in drei Jahren. Ein aggressiverer Imperialismus als jemals zuvor. Die arrogante Weigerung, mit anderen Staaten zusammenzuarbeiten. Eine offensichtliche Partnerschaft mit großen Unternehmen. Dies führte unter anderem dazu, dass die Umweltpolitik völlig vernachlässigt wurde und viele Probleme einer breiten Bevölkerungsschicht nicht angegangen wurden: Für sie gab es keine bezahlbaren Krankenversicherungen oder Wohnungen, keine sicheren Arbeitsplätze. Stattdessen wurde die Wirtschaft militarisiert, was zu einem Milliarden-Staatsdefizit führte – und zu einer nie gekannten Abhängigkeit vom Krieg, um die Wirtschaft überhaupt noch am Leben zu halten.

tagesschau.de: Was erwarten Sie von Bushs zweiter Amtszeit?

Zinn: Die militärische Niederlage im Irak, den wirtschaftlichen Niedergang zuhause. Bush wird die republikanische Regierungspolitik soweit diskreditieren, dass in vier Jahren ein demokratischer Kandidat die Präsidentschaftswahl gewinnt.

tagesschau.de: Bushs erste Pressekonferenz nach der Wahl zeigte einen sehr selbstbewussten Präsidenten. "Ich plane, entsprechend meines Mandats zu handeln", sagte er. Hat er starken Widerstand zu erwarten?

Zinn: Bushs Behauptung, dass er ein Mandat habe, ignoriert die Tatsache, dass nur 34 Prozent der Wahlberechtigten für ihn stimmten. 40 Prozent gingen gar nicht zur Wahl. Der Präsident wird feststellen, dass die Opposition gegen ihn zunimmt.

tagesschau.de: Erwarten Sie in absehbarer Zeit einen Präsidenten im Oval Office, der das Land stärker eint, als das bei Bush der Fall zu sein scheint?

Zinn: Der nächste demokratische Präsident wird wohl von Bushs Desastern lernen und eine moderatere Politik machen. Aber auch dieser Präsident wird dann kein vereintes Land hinter sich haben; nur eine Mehrheit, die gegen militärische Einsätze im Ausland ist und für Regierungsprogramme, die den Menschen zuhause helfen.

Die Fragen stellte Christian Radler, tagesschau.de; das Interview fand per E-Mail statt

Howard Zinn, 81, lehrte bis 1988 Geschichte an der Universität Boston und ist Autor des Standardwerks "A People’s History of the United States".Seine Kritik am US-Engagement in Vietnam kostete Zinn 1963 die Geschichts-Professur in Atlanta (Georgia). Danach ging er nach Boston (Massachusetts), wo er zu einem der führenden Historiker der Nachkriegszeit wurde.