Verheugen beklagt Machtfülle der EU-Beamten EU-Kommissar greift den eigenen Beamtenapparat an
Ein Interview, das EU-Kommissar Verheugen der "Süddeutschen Zeitung" gegeben hat, hat in Brüssel gewaltigen Wirbel ausgelöst. Er beklagt darin die Machtfülle der Beamten. Es bestehe die Gefahr, dass sie wichtige Entscheidungen an den Kommissaren vorbei träfen.
Von Michael Becker, ARD-Hörfunkstudio Brüssel
Das Betriebsklima in der EU-Kommission dürfte um einige Grad gefallen sein. Der Brüsseler Beamtenapparat wird wenig erfreut sein über das, was Günter Verheugen, Deutschlands Mann in der EU-Kommission, jetzt sehr unmissverständlich gesagt hat: Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte habe den Beamten eine solche Machtfülle eingebracht, dass es inzwischen die wichtigste politische Aufgabe der 25 Kommissare sei, den Apparat zu kontrollieren - und diese Kontrolle gehe manchmal verloren.
"Machtkampf zwischen Kommissaren und Beamten"
Verheugen beklagt einen ständigen Machtkampf zwischen Kommissaren und hohen Beamten der Brüsseler EU-Kommission. Als Kommissar müsse man "höllisch aufpassen", dass Beamte wichtige Fragen nicht einfach unter sich ausmachten. In Brüssel fragt man sich, was den deutschen EU-Kommissar reitet, öffentlich so heftig auf den eigenen Beamtenapparat einzudreschen. Johannes Laitenberger, Sprecher von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, bemüht sich um Schadensbegrenzung. "Die EU-Kommission kann sich auf eine Verwaltung mit herausragenden Fähigkeiten verlassen - ihre Loyalität steht außer Frage", meinte Laitenberger nur.
Kritik sonst eher aus den Mitgliedsstaaten
Über die Motive für Verheugens scharfer Kritik am Brüsseler Beamtenapparat kann man größtenteils nur spekulieren. Über die Macht der Brüsseler Spitzenbeamten haben schon viele vor ihm geklagt - allerdings selten so öffentlich und pauschal. Kritik an der Brüsseler Bürokratie ist weit verbreitet und darüber hinaus populär - wird aber eher von den Politikern in den EU-Ländern zu Hause erhoben, als innerhalb der EU-Kommission. Dort weiß man, dass vieles davon populistisch ist, denn die allermeisten EU-Regelungen müssen von den nationalen Regierungen abgenickt werden.
Bislang kaum Bürokratie abgebaut
Was nicht heißt, dass Bürokratieabbau nicht nötig wäre. Das hat auch die EU-Kommission erkannt und tatsächlich ist der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen der Mann, der das Projekt vorantreiben soll. Verheugen hat eine ganze Liste von Verordnungen und Richtlinien zusammengestellt, die vereinfacht oder abgeschafft werden sollen: etwa für die Bereiche Bau, Landwirtschaft und für die Automobilindustrie. Bisher ist allerdings wenig passiert. Das Projekt kommt nicht voran - was auch kein Wunder ist. Denn was 25 EU-Länder plus Europa-Parlament beschlossen haben, müssen sie auch gemeinsam wieder ändern oder abschaffen.
Bei der Frage, was überflüssig ist oder nicht, gehen die Meinungen sehr weit auseinander. Dass Verheugen darüber frustriert ist, ist bekannt. "Es ist nur normal, dass der Mann, der in erster Reihe für dieses Projekt kämpft, ungeduldig darauf hinarbeitet, dass es schneller vorangeht", meinte Kommissionssprecher Johannes Laitenberger nur. Der ein oder andere Brüsseler Kommissionsbeamte dürfte für den Ehrgeiz des deutschen EU-Kommissars vermutlich weniger Verständnis haben - jetzt wo Verheugen den Beamten den schwarzen Peter zugeschoben hat.