Interview

Unctad-Chef Flassbeck zur Entwicklungspolitik "Deutschland sitzt im Glashaus"

Stand: 31.05.2007 07:43 Uhr

Deutschlands Industriepolitik unterläuft die eigenen Ziele der Entwicklungspolitik für Afrika. Das kritisiert Unctad-Direktor Flassbeck gegenüber tagesschau.de. Der Wettlauf der Industriestaaten um immer niedrigere Unternehmenssteuern mindere vor allem die Chancen Afrikas am Weltmarkt.

Der Wettlauf der Industriestaaten um immer niedrigere Unternehmenssteuern mindert vor allem die Chancen der afrikanischen Entwicklungsländer. Das kritisiert Unctad-Direktor Heiner Flassbeck im Gespräch mit tagesschau.de. Und fordert, dass sie damit aufhören - "schon im eigenen Interesse". Gerade Deutschland unterlaufe sonst die erklärten Ziele seiner Entwicklungspolitik. Für Beschlüsse zu Afrika beim G8-Gipfel in Heiligendamm fordert er: "Es muss transparenter zugehen."

tagesschau.de: Herr Flassbeck, einige Nichtregierungsorganisationen haben in dieser Woche kritisiert, dass der G8-Gipfel das Thema Afrika eigentlich nur als PR-Gag auf die Tagesordnung gesetzt hat. Kann das Thema Afrika denn in Heiligendamm überhaupt sinnvoll verhandelt werden?

Heiner Flassbeck: Die G8 kann das Thema verhandeln. Das hat sie ja zuletzt auch beim Gipfel 2005 in Gleneagles getan. Damals wurde ein Abschlussdokument verabschiedet, demzufolge die Hilfe für Afrika intensiviert werden sollte. Es ist allerdings nicht klar, ob danach tatsächlich mehr Hilfe an Afrika ging. Ich würde mir deshalb wünschen, dass es in Heiligendamm etwas transparenter zugeht.

tagesschau.de: Was bedeutet das?

Flassbeck: Dass die Teilnehmer ein klares Ergebnis vorlegen. Eines, in dem sie genau sagen, was sie bisher für die Entwicklung Afrikas ausgegeben haben - und was sie künftig zusätzlich ausgeben wollen.

tagesschau.de: Über wie viel Geld sprechen wir?

Flassbeck: Es ist immer von 20 bis 50 Milliarden Dollar jährlich die Rede. Der Punkt ist, dass diese Summe zusätzlich gezahlt wird und nicht, wie in der internationalen Politik oft üblich, verrechnet wird mit Geld, was bereits fließt. Wenn dadurch am Ende nur fünf Milliarden Dollar jährlich mehr zusammenkommen, reicht das sicherlich nicht.

"Bevorzugter Zugang zu EU-Märkten"

tagesschau.de: Wie sollte Afrika aus Sicht der Unctad sonst von den Industriestaaten unterstützt werden?

Zur Person
Heiner Flassbeck ist seit 2003 Direktor bei der UN-Konferenz zu Handel und Entwicklung (Unctad) in Genf. Sein Geschäftsbereich ist die Abteilung für Globalisierungs- und Entwicklungsstrategien.
Flassbeck wurde 1950 geboren, studierte Volkswirtschaft in Saarbrücken, arbeitete danach im Stab des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Wiesbaden. Seit 1980 Mitarbeit beim Bundeswirtschaftsministerium mit Aufenthalten bei UN-Organisationen in Genf. 1987 Promotion über die "Theorie der offenen Vokswirtschaft bei flexiblen Wechselkursen". Unter Oskar Lafontaine war Flassbeck Staatssekretär im Finanzministerium. Nach 2000 bekleidet er unterschiedliche Posten bei der Unctad.

Flassbeck: Durch mehr länderübergreifende Straßenverbindungen und sonstige Infrastrukur, damit der regionale Handel besser organisiert werden kann. Und dadurch, dass man Vereinbarungen trifft, die dafür sorgen, dass die Mittel auch für diese Zwecke verwendet werden.

Ein weiterer Punkt ist, dass Waren aus Afrika einen freieren Zugang zu den Märkten der Industriestaaten brauchen. Wichtig ist meiner Ansicht nach aber, dass die afrikanischen Entwicklungsländer nicht nur einen gleichberechtigten sondern einen bevorzugten Zugang zu unseren Märkten erhalten.

tagesschau.de: Da werden sich die deutschen Bauern und ihre EU-Kollegen aber freuen ...

Flassbeck: Die EU-Bauern sind nicht das Problem. Es gibt hier nicht besonders viele Überschneidungen oder Konkurrenzen zu Afrika und es gibt erste Abkommen zwischen der EU und einigen afrikanischen Staaten. Kritisch wird es dagegen bei der Baumwolle, die in einigen westafrikanischen Staaten sehr effizient angebaut wird. Das beunruhigt die USA, die ihre eigenen hoch subventionierten Baumwoll-Farmer vor ausländischer Konkurrenz schützen wollen.

"Zu Lasten anderer"

tagesschau.de: Man hat immer den Eindruck, dass Deutschland in der Entwicklungspolitik eine Vorreiterrolle einnimmt. Tun wir genug? Geht Deutschland mit gutem Beispiel voran?

Flassbeck: Es ist so, dass Deutschland im Glashaus sitzt. Vor nicht mal einer Woche wurde eine Unternehmenssteuerreform im Bundestag durchgewunken, die wieder einmal die Wettbewerbsfähigkeit steigern soll. Die Kehrseite ist allerdings: Wenn wir unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern, verschlechtern wir sie gleichzeitig für andere Staaten, inklusive der Entwicklungsländer. Wenn Deutschland mehrere Jahre lang die Löhne de facto nicht erhöht und Exportweltmeister sowie Dritter beim Außenhandelüberschuss wird, dann geht das doch auch zu Lasten von anderen.

tagesschau.de: Zu wessen Lasten geht es?

Flassbeck: Innerhalb der EU Spanien, Portugal und Italien. Außerhalb der EU sind es immer noch 60 bis 70 Milliarden Euro deutscher Außenhandelsüberschuss, natürlich auch gegenüber den Entwicklungsländern. Je besser es die deutsche Wirtschaft schafft, in der globalisierten Welt zu bestehen, desto schlechter gelingt das den Entwicklungsländern.

Allerdings ist das ein internationales Phänomen, für das es einen englischen Begriff gibt: "Race to the bottom" - also ein Herunterkonkurrieren auf Null. Schauen Sie sich die EU an: Die Steuern für Unternehmen bewegen sich rasant auf den Nullpunkt zu. Als nächstes wird sicher Frankreich seine Unternehmenssteuern senken und dann Deutschland und dann die Slowakei und so weiter. Am Ende ist damit aber niemand geholfen. Schon im eigenen Interesse sollten die Industriestaaten damit aufhören.

Einzig asiatisches Wachstum reicht aus

tagesschau.de: Trotzdem wachsen doch die Wirtschaften der Entwicklungsländer erheblich stärker als die der Industriestaaten. Im letzten Jahr waren es sechs Prozent, in Deutschland waren es unter zwei.

Flassbeck: Eigentlich ist das noch viel zu wenig. Das Verhältnis sollte acht Prozent zu zwei Prozent sein, damit die Entwicklungsländer ernsthaft aufholen können. Nur wenige Regionen tun das, momentan etwa in Asien.

Das Gespräch führte Christian Radler, tagesschau.de