Interview

Interview mit Ali Mazrooei "Der Trend zur Demokratie wird sich nicht zurückdrehen lassen"

Stand: 27.08.2007 22:43 Uhr

Ali Mazrooei ist Fraktionssprecher der reformorientierten Beteiligungspartei. Mazrooei ist seit 2000 Mitglied des Parlaments. Er hat vor allem in der Finanz- und Planungskommission gearbeitet und ist vor zwei Wochen zusammen mit etwa 130 weiteren Abgeordneten aus Protest gegen die Entscheidung des Wächterrates zurückgetreten.

tagesschau.de: Herr Mazrooei, nachdem der Wächterrat Sie nicht zu den Wahlen zugelassen hat, ist ihre Karriere im Parlament vorerst beendet. Sind Sie traurig darüber?

Ali Mazrooei: Ja, das schmerzt. Ich arbeite seit 27 Jahren in der Politik. Als ich als Student gegen den Schah gekämpft habe, war ich darauf eingestellt, jederzeit für meine Aktivitäten ins Gefängnis zu gehen. Ich hätte jedoch nie gedacht, dass ich nach dem Sieg der Revolution noch einmal in dieselbe Situation kommen würde.

tagesschau.de: Sind sie von der islamischen Revolution enttäuscht?

Mazrooei: Ich stehe nach wie vor zu der Revolution, die wir vor 25 Jahren gemacht haben. Alle iranischen Politiker stehen hinter der Revolution, Reformer nicht weniger als Konservative. Allerdings interpretieren sie den Islam sehr verschieden und haben deshalb unterschiedliche Ansprüche an die Islamische Republik. Es ist nicht zu leugnen, dass das politische System in unserem Land viele Defizite hat. Es funktionierte im ersten Jahrzehnt nach der Revolution, aber jetzt hakt es an einigen Stellen.

tagesschau.de: An welchen Stellen hakt es besonders?

Mazrooei: Zum Beispiel beim Wächterrat. Es ist nicht in Ordnung, dass die Mitglieder des Wächterrats einer bestimmten politischen Fraktion angehören. Sie müssten neutral und unabhängig sein. Dasselbe gilt auch für den Expertenrat. Wenn diese Neutralität gegeben wäre, würde das System besser funktionieren.

tagesschau.de: Wie ist die derzeitige Stimmung im Lager der Reformer?

Mazrooei: Wir sind besorgt und glücklich zugleich. Wir wissen, dass die Bevölkerung hinter uns steht, dass sie uns beobachtet. Der Trend zur Demokratie wird sich im Iran nicht zurückdrehen lassen. Wir befinden uns an einem historischen Wendepunkt in der Geschichte der Islamischen Republik: Es geht um die Entscheidung zwischen Demokratie und Totalitarismus. Die Tendenz geht derzeit in Richtung Totalitarismus, aber das wird nicht funktionieren. Deshalb müssen wir uns auf den Moment vorbereiten, in der die Stimmung kippt. Wir versuchen die Krise der Reformbewegung als Chance zur Selbsterneuerung zu betrachten.

tagesschau.de: Während Ihres Sitzstreiks im Parlament gab es kaum Zeichen der Solidarität in der Bevölkerung. Ihre Wähler sind unzufrieden mit ihrer Arbeit.

Mazrooei: Ich kann diese Unzufriedenheit verstehen. Die Menschen hatten vor vier Jahren große Hoffnungen in uns gesetzt. Aber viele unsere Gesetzesvorhaben - insbesondere die, in denen es um Menschenrechte ging - wurden vom Wächterrat abgelehnt. Während der Amtszeit, in der wir eine Mehrheit im Parlament hatten, wurden kritische Zeitungen geschlossen, Studenten verhaftet und Journalisten ins Gefängnis gesteckt. Klar, dass die Menschen enttäuscht sind. Viele Iraner hielten unsere Protestaktionen im Parlament zudem für ein Spiel. Man unterstellte uns, wir wollten damit lediglich den Wahlkampf anheizen. Aber nun stellen die Menschen fest, dass die Auseinandersetzung ernst ist.

tagesschau.de: Wie sehen Sie die Zukunft der iranischen Reformbewegung?

Mazrooei: Lassen Sie mich zunächst über die Vergangenheit sprechen: In der Vergangenheit dachten wir, wir könnten Reformen im Parlament umsetzen. Aber diese Ära ist nun vorbei: Wir müssen anerkennen, dass wir keine Reformen mehr innerhalb des Establishments durchsetzen können. Es gibt keine andere Möglichkeit für uns, als in die Gesellschaft zurückzukehren und dort eine neue Mobilisierungskampagne zu starten.

tagesschau.de: Wie könnte eine solche Mobilisierung konkret aussehen?

Mazrooei: Wir müssen eine breite, außerparlamentarische Lobby für unsere Politik aufbauen. Unser Problem in den vergangenen vier Jahren war, dass wir keinen Rückhalt in gesellschaftlichen Institutionen wie Polizei, Militär, Justiz, Medien etc. hatten. Die Unterstützung der Massen ist nicht sehr wirksam, wenn sie ins Leere läuft. Wir müssen uns besser organisieren.

tagesschau.de: Wird sich der Reformprozess in Iran durch einen Sieg der Konservativen aufhalten lassen?

Mazrooei: Die Konservativen wollen sich unserer Reformen bemächtigen, um sie auf ihre eigene Art weiterzuführen. Sie wissen, dass im Grunde die gesamte Bevölkerung nach Reformen verlangt und könnten dieses Interesse nicht ignorieren, wenn sie an der Macht bleiben wollen. Ich meine, dass sie versuchen werden eine Art chinesisches Modell aufzuziehen, unter dem Motto: wirtschaftliche und soziale Reformen: ja; politische Reformen: nein. Liberale Bekleidungsvorschriften, aber keine Pressefreiheit. Allerdings wird das in Iran auf Dauer nicht funktionieren.

tagesschau.de: Warum nicht?

Mazrooei: Erstens sind die Iraner kein sehr leises Volk, wenn es um Politik geht. Im Moment herrscht zwar Ruhe. Aber es ist eine angespannte Ruhe. Man darf sich nicht täuschen lassen: Die Menschen beobachten genau, was in der Politik vor sich geht. Und irgendwann werden sie ihre Meinung schon kundtun. Zweitens haben die Konservativen nicht genug gut ausgebildete Leute, um einen harten, reaktionären Kurs durchzuziehen. Die Mehrheit der Gebildeten steht nicht auf ihrer Seite.

Das Gespräche führte Andrea Claudia Hoffmann für tagesschau.de