Soldaten stehen in 2004 vor dem Gefängnis Abu Ghraib.

Christoph Maria Fröhder im Interview "Misshandlungen mit System"

Stand: 26.08.2007 15:54 Uhr

Die Misshandlungen von Häftlingen im Bagdader Gefängnis Abu Ghraib sind nach Ansicht des Journalisten Christoph Maria Fröhder keine Ausnahme. Immer wieder konnte er Übergriffe im Irak gegen Häftlinge beobachten. Im Gespräch mit tagesschau.de meint Fröhder: Abu Ghraib ist ein zweites Guantanamo.

tagesschau.de: Haben Sie bei Ihren Recherchen im Irak Fälle von Misshandlungen beobachten können?

Christoph Maria Fröhder: Wir begleiteten einmal eine so genannte Mission, auf der angeblich ein Munitionslager ausgeräumt werden sollte. Tatsächlich handelte es sich um ein Privathaus. Ein alter Mann, der nicht sofort die Schlüssel fand, wurde von den Amerikanern mit dem Gewehrkolben schwer geschlagen. Wir wollten das filmen, aber die Soldaten haben sich direkt vor unsere Kamera gestellt. Später erfuhren wir, dass man dem alten Mann anschließend eine Kapuze über den Kopf gezogen, ihn gefesselt und dann weggebracht hatte. Ich war noch drei Wochen im Irak, in dieser Zeit tauchte der Mann nicht mehr zu Hause auf. Man sagte seinen Söhnen auch nicht, wo sich der Mann aufhielt.

tagesschau.de: Konnten Sie auch Misshandlungen in Gefängnissen oder ähnlichen Orten beobachten?

Fröhder: Einmal geriet ich per Zufall in einem Lager in eine Art Verhörraum. Dort sah ich zwölf Personen, die gefesselt waren, Kapuzen über den Kopf hatten, einige saßen in ihrem eigenen Kot. Auf meine Frage, was gegen diese Leute vorliege, sagte mir ein Offizier: Wahrscheinlich liege gar nichts gegen sie vor, sie hätten sich wohl nur zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten. Man habe aber die Erfahrung gemacht, dass Gefangene unter diesen Bedingungen doch irgendwann zu reden anfangen und von Munitionslagern in der Nachbarschaft oder bei den Verwandten erzählten. Man habe damit große Erfolge erzielt, deshalb behalte man sie da.

tagesschau.de: Könnte es sich um einen Einzelfall gehandelt haben?

Fröhder: Als wir zu einem späteren Zeitpunkt mit einem Trick wieder in das Lager kamen, saßen in dem Verhörraum fünf Personen, wieder mit Plastiktüten über den Kopf. Amerikanische Soldaten unterhielten sich in unserer Gegenwart ungeniert darüber, ob man einen – besonders lauten – Gefangenen auf die Toilette führen solle, ob man sein Glied mit der Zange halten solle oder gar ganz abschneiden, damit dieser Gefangene keine Kinder mehr zeugen könne. So viel Menschenverachtung habe ich in über 30 Jahren Krisenberichterstattung selten erlebt. Auch wir wurden bedroht und geschlagen, als wir erneut versuchten, in das Verhörzentrum zu gelangen.

Hilflose Suche nach Hintermännern

tagesschau.de: Hatten Sie den Eindruck, dass ein System hinter den Misshandlungen steckt?

Fröhder: Das ist ein klar ausgeklügeltes System, über das offiziell nicht gesprochen wird. Wenn sie mal an einer Bar mit einem der zivilen Ermittler sprechen, wird schon klar, dass es im Hintergrund ein Konzept gibt. Da man nicht an die Hintermänner des Widerstands herankommt und auch nicht genau weiß, wie viele Al Kaida und echte Terroristen im Irak sind, versucht man, die Leute zu greifen, die man greifen kann. Das sind aber meistens harmlose Gestalten. Nach meiner Einschätzung haben die Amerikaner die eigentlichen Terroristen noch nicht erwischt. Es sind zumeist Zufallsverhaftungen nach Schießereien. Wir haben es selbst erlebt: Wenn wirkliche Terroristen einen amerikanischen Konvoi angreifen, tauchen in kürzester Zeit weitere bewaffnete Menschen auf, die aber nur von dem Radau angezogen werden. Und das sind diejenigen, die dann verhaftet werden. Die eigentlichen Terroristen sind viel geschickter.

tagesschau.de: Die Vorgänge in dem Gefängnis Abu Ghraib sollen seit Monaten bekannt gewesen sein. Hatten Sie auch Informationen über das, was in dem Gefängnis geschah?

Fröhder: Ich hatte ja als einer der ersten Journalisten bereits unmittelbar nach dem Sturz des Regimes in dem Gefängnis gedreht – ein Ort mit einer erschütternden Geschichte. Im Februar war ich wieder vor Abu Ghraib. Ein Verwalter verbot mir aber ausgerechnet mit Verweis auf die Genfer Konvention, dort zu drehen. Wir wussten, dass zu diesem Zeitpunkt schon sechs amerikanische Militärpolizisten verhaftet worden waren. Auf mehrfaches Befragen sagte man uns, es handele sich um eine nebensächliche Angelegenheit. Verwandte von Häftlingen berichteten uns, dass in dem Gefängnis massiv gegen die Häftlinge vorgegangen werde. Eine Rechtsanwältin berichtete, dass sie nur unter großen Anstrengungen Zugang zu ihrem Mandanten bekomme. Man teile ihr aber weder den Vorwurf gegen den Mann mit, noch die voraussichtliche Haftentlassung, es gebe keine Akten und Unterlagen und sie wisse auch nicht, ob und wann ein Gerichtsverfahren geplant sei. Als Anwältin sei sie völlig hilflos, weil sie über keinerlei juristische Mittel verfüge.

tagesschau.de: Kann man Abu Ghraib als zweites Guantanamo bezeichnen?

Fröhder: So wird es von den Amerikanern im Irak selbst bezeichnet, als "unser Guantanamo". Das Schlimme daran ist: Dieses Gefängnis war berüchtigt. Unsere Fahrer haben früher einen Bogen um diesen Ort gemacht, und sie tun es heute immer noch. Eine Demokratie, ein Rechtsstaat müsste so viel Gespür haben, nicht unmittelbar die Tradition einer solchen Folterstätte zu übernehmen. Aber die Amerikaner übernehmen offenkundig die Tradition des persönlichen Übergriffs gegen Gefangene, die Tradition des Folterns. Das ist demütigend für die Iraker, und es löst Furcht aus.

tagesschau.de: Hatten Sie Zutritt zu dem Gefängnis?

Fröhder: Die Amerikaner haben es sogar abgelehnt, dass ich das Gefängnis ohne Kamera betreten kann. Das ist für mich ein Indiz dafür, dass man auch in der Zentrale relativ genau wusste, dass die Zustände dort im Zweifelsfall mit der amerikanischen Verfassung nicht vereinbar sind.

Abschreckung mit totem Journalisten

tagesschau.de: Sind Sie selber im Zuge Ihrer Dreharbeiten bedroht worden?

Fröhder: Im Gefängnis Abu Ghraib erinnerte mich dann ein Offizier an den Tod eines Reuters-Kameramanns Mazen Dana vom vergangenen August. Er sagte mir, Sie können drehen, aber auf eigene Verantwortung. Wenn Sie von einer Patrouille erschossen werden, dann ist dies ein Vorgang, der ausschließlich mit Ihnen persönlich zu tun hat. Der Kameramann hatte damals mit einer offiziellen Genehmigung vor dem Gefängnis gedreht. Dann kam eine Patrouille um die Ecke gefahren und schoß ohne Vorwarnung auf den Kollegen. Das Pentagon erklärte anschließend, nach gefechtsmäßigen Maßstäben sei dies ein ordnungsgemäßes Verhalten gewesen.

tagesschau.de: Haben Sie den Eindruck, dass die US-Armee immer nur das zugibt, was man ihr nachweisen kann?

Fröhder: Nach meiner Überzeugung ist das so. Die Amerikaner möchten so wenig Berichterstattung wie möglich haben, sie wird als ein lästiges Übel betrachtet. Früher kannte ich amerikanische Offiziere, die sich voll und ganz zur Informations- und Pressefreiheit bekannt haben. Das ist vorbei. Heute unternimmt man alles, um Journalisten abzublocken, um ihnen die Arbeit zu erschweren.

Christoph Maria Fröhder ist freier Journalist und berichtet seit 30 Jahren für die ARD aus Krisengebieten. Die Entwicklung im Irak begleitet Fröhder seit vielen Jahren. Vom zweiten Golfkrieg berichtete er als einziger westlicher Korrespondent (zusammen mit dem CNN-Mitarbeiter Peter Arnett) aus Bagdad für die ARD, und auch während des Irak-Krieges und danach war er als Berichterstatter im Einsatz. Für seine Arbeit wurde Fröhder unter anderem mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet.

Die Fragen stellte Eckart Aretz, tagesschau.de