Interview

EU-Wahlbeobachter in Kongo "Kleinere Probleme und Unregelmäßigkeiten"

Stand: 31.07.2006 05:34 Uhr

Bei der Parlaments- und Präsidentenwahl in Kongo zeichnet sich eine hohe Beteiligung ab. Die erste Wahl nach rund 40 Jahren Bürgerkrieg und Diktatur verlief nach Angaben internationaler Beobachter weitgehend friedlich. Einer dieser Beobachter ist der Europa-Abgeordnete Jürgen Schröder, der im Interview mit tagesschau.de seine Eindrücke vom Wahltag schildert. Der CDU-Politiker leitet die aus zwölf Abgeordneten bestehende Wahlbeobachterdelegation des Europäischen Parlaments.

tagesschau.de: Herr Schröder, die Wahllokale sind geschlossen, wie geht es jetzt für Sie weiter?

Jürgen Schröder: Wir sind im Moment zur Lagebesprechung im Hotel, starten aber gleich wieder zu unserem letzten Einsatz in ein Wahllokal in Kinshasa, um dort die Auszählung der Stimmen bis zum Schluss mitzumachen. Da das Wahllokal nicht allzu groß ist, könnte es sein, dass wir da gegen Mitternacht oder eins schon fertig sind.

tagesschau.de: Gibt es schon erste Trends? Wann erwarten Sie erste Nachrichten über den Wahlausgang?

Schröder: Also eigentlich ist vorgesehen, dass es keine Hochrechungen gibt, das ist hier auch technisch gar nicht so möglich wie in Europa. Man kann nur Ergebnisse über den Buschfunk weitervermitteln. Das führt dann aber bekanntlich zu Animositäten, weil das insgesamt kein richtiges Bild ergibt, weil natürlich in den unterschiedlichen Wahllokalen unterschiedliche Kandidaten vorne liegen. Möglicherweise hat es aber schon undichte Stellen gegeben. Wir wurden heute Abend mehrfach informiert von unseren Sicherheitskräften, dass es in einigen Stadtteilen doch Zusammenstöße gegeben hat. Das ist höchstwahrscheinlich nicht allzu dramatisch, aber es wurde uns gesagt, dass wir bestimmt Stadtteile meiden sollen, wo die Polizei schon im Einsatz ist.

Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl soll dann bis zum 15. September feststehen, das der Wahl zur Nationalversammlung in etwa drei Wochen. Das sind aber nur ganz grobe Werte.

tagesschau.de: Wie haben Sie den Wahltag heute erlebt?

Schröder: Wir sind heute morgen um 5:15 Uhr losgefahren in ein Wahllokal, das aber vorher nicht feststand. Es gab mehrere Optionen. Und dann kam es - wie im richtigen Leben - dass der Fahrer nicht wusste, wo die Straße ist. Und dann sind wir hierhin und dorthin gefahren, bis wir um 5:50 Uhr dann in "unserem“ Wahllokal angekommen sind.

Punkt sechs haben die Wahllokale geöffnet, bis dahin musste alles vorbereitet sein. Bis auf kleine Sünden war in unserem Wahllokal alles sehr gut vorbereitet: Es lagen sogar Kugelschreiber in den Wahlkabinen. Es war also eigentlich nichts zu bemängeln. Unsere kleine Gruppe ist dann noch in andere Wahllokale gegangen. Als Leiter der Delegation hatte ich dann zwischendurch noch andere Termine, etwa mit Medien und mit General Philippe Morillon, dem Leiter aller EU-Teilnehmer.

tagesschau.de: Wie haben Sie die Stimmung in Kinshasa erlebt?

Schröder: Die Stimmung war ausgesprochen gut, man kann sagen Feiertagsstimmung. Viele waren vorher in der Kirche - das Land ist ja zur Hälfte katholisch - und haben sich entsprechend fein gemacht.

tagesschau.de: Und wie bewerten Sie die Durchführung der Wahl?

Schröder: Was man erwarten musste, waren kleinere Probleme und Unregelmäßigkeiten. Die waren aber eher Ausdruck von Unprofessionalität. Es ist zum Beispiel so, dass einige der Wahlhelfer folgendes gemacht haben: Die Wahlzettel, die zusammengeheftet sind, bestehen im Fall der Parlamentswahlen aus etwa sechs Seiten. Manche Wahlhelfer haben dann den Wählern nur die Seite rausgelöst, die diese angefordert haben, also wenn deren Kandidat auf Seite vier stand, dann hat die junge Dame halt nur Seite vier rausgegeben. Das ist natürlich nicht im Sinne des Wahlgesetzes. Man hätte dann die restlichen fünf Seiten vernichten müssen, das ist aber nicht passiert.

Diese Dinge sind aber eher abzuspeichern unter der Rubrik "mangelndes Wissen" und "mangelnde Erfahrung". Man darf ja nicht vergessen, dass hier seit 40 Jahren nicht gewählt wurde. Das Land hat keinerlei Erfahrung in Demokratie, auch nicht in demokratischen Wahlen.

Wenn man nun aber will, dass es für dieses Volk bergauf geht, muss man sich überlegen, wie sehr man sich an formalen Dingen reibt und sagt, das ganze können wir internatioanel Beobachter nicht akzeptieren. Denn dann könnten wir durchaus dazu beitragen, dass wieder die Waffen sprechen – und das wäre natürlich das allerschlimmste.

tagesschau.de: Noch eine Frage zu den Bedingungen vor Ort. Stichwort Elektrizität, Licht?

Schröder: Ja, das ist auch etwas, was die Wahl beeinflussen kann und wird. In ländlichen Gebieten ohne elektrischen Strom müssen Generatoren sein. Wenn dann der Treibstoff nicht reicht, weil die Auszählung vielleicht sehr lange dauert, dann kann man sich vorstellen, wie das ist, wenn die dann im Dunkeln sitzen. Als wir am Nachmittag in einem Wahllokal nach der Auszählung fragten, hieß es dort "Wir haben nur eine Taschenlampe“.

Man wird nicht umhinkommen, mit Unzulänglichkeiten zu leben. Und wenn man bedenkt, was dieses Land durchgemacht hat im letzten halben Jahrhundert, kann man über das Fehlen von Taschenlampen auch unter Umständen hinwegsehen. Es wird dann trotzdem gut werden.

Die Fragen stellte Kristina Kaul, tagesschau.de