Interview

Interview mit Friedensnobelpreisträgerin Ebadi "Sanktionen würden Bevölkerung treffen"

Stand: 28.09.2006 09:33 Uhr

Der Dauerstreit um das Atomprogramm sorgt in der westlichen Welt für zunehmendes Unbehagen gegenüber Iran. Auch die provokanten Äußerungen von Präsident Mahmud Ahmadinedschad zum Existenzrecht Israels verstärken das Misstrauen. Doch was denken die Iraner über die Politik ihres Präsidenten? Darüber sprach die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi am Rande einer Veranstaltung des Hamburger KörberForums mit Journalisten. Christine Kahle war für tagesschau.de dabei.

tagesschau.de: 2005 kam Präsident Ahmadinedschad auch deshalb an die Macht, weil er den Armen gerechtere wirtschaftliche Verhältnisse versprach. Wie groß ist sein Rückhalt in der iranischen Gesellschaft?

Ebadi: Bei seiner Wahl vor gut einem Jahr hat Ahmadinedschad nach eigenen Angaben 14 Millionen Stimmen erhalten. Bei 49 Millionen Wahlberechtigten heißt das aber auch: 35 Millionen haben ihn nicht gewählt. Dazu kommt, dass die Wahl manipuliert war und er vermutlich nur zwölf Millionen Stimmen erhalten hat. Daran können Sie seinen Rückhalt ablesen.

tagesschau.de: Ahmadinedschad setzt immer wieder auf international provokante Themen, indem er zum Beispiel gegen die Juden hetzt und Israel das Existenzrecht abspricht. Gelingt es ihm damit, die Bevölkerung hinter sich zu bringen?

Ebadi: Nein, überhaupt nicht. Die Iraner haben nie Probleme mit Juden gehabt. Iran ist traditionell ein religiös vielfältiges Land. Die Frage, an was jemand glaubt, ist für die meisten Iraner nicht wichtig. Die Menschen beschäftigen gegenwärtig andere Sorgen: Die Arbeitslosigkeit ist in den vergangenen Jahren enorm gestiegen, wir haben eine hohe Inflation und Löhne, die nicht zum Leben reichen. Viele Iraner haben zwei oder drei Jobs, um über die Runden zu kommen. Außerdem ist die Korruption ein großes Problem.

tagesschau.de: Im Ausland sorgt das Auftreten Präsident Ahmadinedschads für Irritationen, wenn nicht gar Angst. Wissen die Iraner um das schlechte Image ihres Landes?

Ebadi: Ja und nein. Die iranischen Zeitungen werden zensiert, genauso wie viele Internetseiten. Und seit einiger Zeit werden auch Satelliten-Antennen konfisziert. Viele Menschen haben also keinen Zugang zu freien Medien. Aber vor allem die Intellektuellen wissen natürlich, wie im Ausland über Iran berichtet wird.

tagesschau.de: Ein anderes Reizthema ist der Streit um das iranische Atomprogramm. Welche Position nimmt die iranische Bevölkerung dabei ein?

Ebadi: Ich meine, dass kein Land eine Atombombe haben sollte. Auf der anderen Seite fragen sich die Iraner schon, warum alle über das iranische Atomprogramm reden, es aber niemand als Gefahr für den Weltfrieden ansieht, dass Pakistan die Atombombe besitzt. Ich meine: Pakistan ist kein demokratisches Land, es war Stützpunkt der Taliban und auch dort gibt es Fundamentalisten. Dennoch spricht niemand darüber, dass von Pakistan eine Gefahr ausgehen könnte.

tagesschau.de: Wie sollte der Westen im Atomstreit mit Iran umgehen?

Ebadi: Auf keinen Fall darf es einen Angriff auf Iran geben. Die Menschen haben gesehen, wie es der Bevölkerung im Irak ergangen ist und davor haben sie Angst. Sollte Iran angegriffen werden, würden die Menschen ihre kritische Haltung gegenüber der Regierung zurückstellen und ihre Heimat verteidigen. Auch Wirtschaftssanktionen würden am meisten die Bevölkerung treffen. Das darf nicht sein.

tagesschau.de: 2003 haben Sie für ihren Kampf für die Menschenrechte in Iran den Friedensnobelpreis erhalten. Nun wurde Ihr "Zentrum für Menschenrechtsverteidiger" von der Regierung verboten. Können Sie überhaupt noch arbeiten?

Ebadi: Unsere Arbeit war schon unter Präsident Chatami schwierig. Der Grund dafür ist, dass die Reformkräfte nie viel Macht hatten. Ich wurde in Chatamis Amtszeit für fast einen Monat ins Gefängnis gebracht – wie viele andere auch – und Präsident Chatami hat dazu immer nur gesagt, es tue ihm Leid. Unter Ahmadinedschad gehen die Verhaftungen weiter – nur sagt der nicht, dass es ihm Leid tut.

Stichwort
2002 gründete Ebadi mit fünf weiteren Juristen das "Zentrum für Menschenrechtsverteidiger" (CHRD). Die Gruppe engagiert sich für politische Gefangene. Zudem veröffentlicht sie regelmäßig einen Bericht über die Menschenrechte in Iran.

Momentan arbeiten wir einfach trotz des Verbots weiter und bisher ist auch nichts passiert. Aber was morgen sein wird, das wissen wir nicht. Wenn die Welt Iran wirklich helfen will, dann sollte sie nicht immer nur über sein Atomprogramm sprechen, sondern sich den Menschenrechtsverletzungen und der demokratischen Situation im Land widmen. Wenn sich hier etwas tut, dann könnte die Regierung auch nicht mehr mit nationalen Themen wie dem Atomprogramm punkten.