Interview

IKRK-Präsident Kellenberger zur Lage in Darfur "Hinschauen genügt auch nicht. Man muss handeln."

Stand: 24.03.2007 12:20 Uhr

"Äußerst besorgt" über die Not der Bevölkerung in der sudanesischen Region Darfur zeigt sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Die humanitäre Situation sei "bedenklich", die Lage geprägt von Kämpfen. SWR-Hörfunkkorrespondent Maurus befragte IKRK-Präsident Kellenberger, der kürzlich in Darfur war.

"Äußerst besorgt" über die Not der Zivilbevölkerung in der sudanesischen Krisenregion Darfur zeigt sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in einer Erklärung. Die Situation sei geprägt von "anhaltenden Kämpfen" und "generell schlechten Sicherheitsbedingungen", die humanitäre Situation "bedenklich". Mit IKRK-Präsident Jakob Kellenberger sprach Hans-Jürgen Maurus, SWR, ARD-Hauptstadtstudio Berlin.

Frage: Herr Kellenberger, Sie waren vor kurzem in der sudanesischen Krisenprovinz Darfur - wie kritisch ist die Lage dort?

Jacob Kellenberger: Die Lage ist sehr kritisch. Kritisch fand ich vor allem, dass die humanitären Bedürfnisse sehr groß bleiben, die Zugangsmöglichkeiten zu den Leuten aber schwieriger geworden sind - vor allem wegen des um sich greifenden Banditentums und der Kriminalität.

Frage: Also hat sich die Sicherheitslage in den letzten Monaten verschlechtert?

Kellenberger: Ja, sie hat sich vor allem seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens vom 5. Mai 2006 eindeutig verschlechtert.

Frage: Wie sieht denn die Lage in den Flüchtlingslagern aus, gerade in Gereida?

Kellenberger: Man kann nicht generalisieren. Gereida ist ein Vertriebenenlager - wir unterscheiden das. Flüchtlinge sind Leute, die die Grenze in ein anderes Land überschritten haben. Vertriebene sind Leute, die ihr Haus und Heim verlassen mussten, aber im eigenen Land und dann in einem Lager sind. Gereida ist ein Lager von internen vertriebenen Leuten. Die Lage in Gereida ist besonders schwierig. In diesem Lager sind rund 125.000 Menschen, 18.500 Kinder unter fünf Jahren. All diese Leute haben kommen aus Dörfern aus der Umgebung, die niedergebrannt wurden. Sie haben keine Alternative zum Aufenthalt in einem Vertriebenenlager, wo sie vollkommen auf unsere humanitäre Hilfe angewiesen sind. Das Umfeld ist so unsicher, dass sie das Lager nicht verlassen können, ohne zu riskieren, dass sie angegriffen werden - auch wenn sie nur zwei, drei Kilometer außerhalb sind.

"Ein typischer Konflikt der heutigen Zeit"

Frage: Das heißt, es kommt immer noch zu Raub, Plünderungen und Mord?

Kellenberger: Wenn sie das Lager verlassen, ja. Im Lager selbst hatte ich den Eindruck einer gewissen Ruhe, aber dies ist natürlich nicht für jeden Moment gegeben. In diesem Lager sind auch schon schwerwiegende Zwischenfälle passiert. Eines meiner Hauptziele war, mit dem Kommandanten des Lagers zu sprechen, einer speziellen bewaffneten Gruppe, die Sudanese Liberation Army unter Minni Minnawi, und diesen Leuten klar zu machen, dass sie sich an die Regeln des humanitären Völkerrechtes zu halten haben, und dass sie natürlich eine Verantwortung haben für die Sicherheit der Leute in diesem Lager.

Frage: Der Konflikt in Darfur dauert ja schon mehrere Jahre. Auf wie hoch schätzen Sie mittlerweile die Gesamtzahl der Opfer?

Kellenberger: Ich möchte mich lieber nicht zu Schätzungen äußern. Wenn ich Zahlen nenne, dann wirklich nur Zahlen, die wir selbst verifizieren konnten. In einem gewissen Sinne ist es ein typischer Konflikt der heutigen Zeit. Es sind Konflikte, bei denen relativ wenig "gekriegt" und ungeheuer gelitten wird. Es sind Konflikte, bei denen das Hauptopfer die Zivilbevölkerung ist. In der Situation befindet sind über ein Drittel der Bevölkerung. Rund zwei Millionen leben in Vertriebenenlagern in Darfur selbst und etwa 200.000 als Flüchtlinge im benachbarten Tschad. Es ist leider klar, dass es in diesem Konflikt zu sehr schweren Völkerrechtsverletzungen gekommen ist und immer noch kommt.

Absprachen mit mittlerweile 20 Rebellengruppen

Frage: Ist die Zersplitterung der Rebellengruppen ein Faktor, der die Hilfe erschwert?

Kellenberger: Ja, das erschwert sie sehr. Damit wir Zugang bekommen, müssen wir uns versichern, dass jede Präsenz und jede Tätigkeit von den verschiedenen bewaffneten Gruppen akzeptiert wird. Als der Konflikt im Frühjahr 2003 begann, gab es zwei Rebellengruppen auf der einen Seite und die Regierungstruppen und arabische Milizen auf der anderen Seite. Heute gibt es etwa 20 bewaffnete Rebellengruppen. Eine hat das Friedensabkommen unterzeichnet, andere sind dagegen, andere wiederum wollen einfach Verbesserungen. Sie müssen heute ungleich mehr Kontakte haben, um sich zu vergewissern, dass ihre Präsenz akzeptiert ist.

Frage: Müsste die Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf die verheerende Krise nicht viel nachhaltiger sein?

Kellenberger: Wir weisen natürlich die Staaten, die das Völkerrecht respektieren, darauf hin, dass sie sich auch dafür einsetzen sollten, dass auch andere dieses Recht akzeptieren. Was wir den Staaten nicht sagen - und das wäre politisch auch heikel - ist, mit welchen Mitteln sie das verwirklichen sollen. Aber es ist klar, dass hier die internationale Staatengemeinschaft eine Verantwortung hat, das Möglichste zu tun, damit das Kriegsvölkerrecht in diesem Konflikt respektiert wird.

Frage: Auf keinen Fall sollten wir wegschauen?

Kellenberger: Wissen Sie, hinschauen genügt auch nicht. Man muss handeln.