Interview

Interview mit ai-Generalsekretärin Lochbihler "Lage für afghanische Frauen ist noch sehr fragil"

Stand: 27.08.2007 07:38 Uhr

Gut drei Jahre nach dem Sturz der Taliban hat sich in Afghanistan viel verändert: So bewarb sich bei den ersten freien Präsidentschaftswahlen erstmals eine Frau um das höchste Amt - noch vor einigen Jahren wäre das undenkbar gewesen. Für viele Frauen aber sind Bedrohung und Gewalt nach wie vor allgegenwärtig. Und: "Viele haben Sorge, ob die Regierung sich auch wirklich nachhaltig für ihre Frauen einsetzt", erklärt amnesty-Generalsekretärin Barbara Lochbihler im tagesschau.de-Interview.

tagesschau.de: Sie waren selbst in Afghanistan und haben sich ein Bild verschaffen können – auch von der Lage der Frauen vor Ort. Was waren die bleibendsten Eindrücke, die Sie mitgebracht haben?

Barbara Lochbihler: Wir haben uns in Kabul mit den amnesty-Mitarbeitern vor Ort getroffen; diese hatten ihre Berichte und Recherchen aus dem ganzen Land zusammengetragen. Mein Eindruck – selbst in Kabul - war, dass man Frauen jetzt zum Beispiel auf der Straße sieht und dass es mehr Hoffnung gibt. Dennoch ist die Lage sehr fragil. Viele Frauen haben Sorge, ob die Regierung sich auch wirklich nachhaltig für die Rechte der Frauen einsetzt – dafür, dass die Gewalt abnimmt, dass Frauen bessere Bildungschancen bekommen und auch die Möglichkeit, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Ein Beispiel: Die afghanische Frauenministerin konnte im Kabinett zwar die Unterzeichnung der UN-Konvention gegen die Diskriminierung von Frauen diskutieren – ratifiziert ist die Konvention aber noch nicht. Zwar gibt es innerhalb der Regierung durchaus Befürworter, aber es gibt auch welche, die das blockieren – auch wenn sie das nach außen nicht zeigen. Das wäre ja auch kein gutes Signal an die internationale Gemeinschaft, die den Aufbau mitfinanziert. Es ist absolut notwendig, dass Frauen und Frauenorganisationen Unterstützung bekommen durch internationale Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit.

tagesschau.de: Welchen konkreten Bedrohungen stehen Frauen gegenüber?

Lochbihler: Das hängt sehr davon ab, wo sie leben. Viele Warlords in den unterschiedlichen Regionen legen das Gesetz oftmals so aus, wie sie wollen und legen fest, was Recht ist und was nicht. Wir hören sehr viel über Gewalt in der Ehe. Mädchen werden zwangsverheiratet oder auch wie Ware verkauft. Wenn es zu Vergewaltigungen und sexueller Belästigung kommt, wird darüber nicht gesprochen. Solche Verbrechen werden kaum zur Anzeige gebracht. Wir haben zum Beispiel etwa 30 Frauen im Gefängnis besucht – von denen waren 28 dort wegen Familienkonflikten. Diese Frauen waren weggelaufen vor extremer Gewalt.

tagesschau.de: Wie lange wird es dauern, bis sich die Lage entscheidend verändert?

Lochbihler: Zunächst einmal sind Gesetze dafür ein erster Schritt. Deren Umsetzung wird dann einhergehen mit der Entwicklung des Landes, mit der Armutsbekämpfung zum Beispiel. Ich glaube aber, dass das sehr lange dauern wird – einen Zeitraum kann ich nicht nennen. In den großen Städten wird das schneller gehen, im Rest des Landes wird es lange dauern. Dort fehlen zum Beispiel die Frauenorganisationen, die sich aktiv einbringen können. Die sind vor allem in den Städten tätig, weniger auf dem Land. Ein Problem ist auch, dass in den mehr als zwanzig Jahren Krieg, die Afghanistan erlebt hat, natürlich auch viele Frauen das Land verlassen haben. Und wir sehen noch nicht, dass diese Frauen wieder zurückkehren und am Aufbau teilnehmen. Bis dahin muss sich noch vieles ändern: Es muss in der afghanischen Gesellschaft Bemühungen geben, Frauen besser auszubilden. Es muss Möglichkeiten geben, dass Frauen berufstätig sein können und selber Geld verdienen.

tagesschau.de: Wie genau sieht die Arbeit von amnesty in Afghanistan aus?

Lochbihler: Wir waren von 2002 bis 2003 ein ganzes Jahr vor Ort. Wir hatten dort ein kleines Büro und haben etliche Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Wir beobachten die politische Diskussion und versuchen, Einfluss zu nehmen. Konkret beziehen sich unsere Forderungen zum Beispiel auf den Aufbau eines neuen Justizwesens. Dieses muss von vornherein bestimmte Ungleichbehandlungen ausschließen und damit dafür sorgen, dass Frauenrechte nicht vergessen werden. Das lobbyieren wir dann auf sehr hoher Ebene. Wir leisten also Grundlagenarbeit – und kümmern uns beispielsweise darum, dass die internationalen Verpflichtungen, die Afghanistan eingegangen ist, auch in nationales Recht umgesetzt werden. Beispiel Gefängnisreform: Es interessiert ja schon hier niemanden, wie es Gefängnisinsassen ergeht. In einem Land wie Afghanistan ist das erst überhaupt kein Thema. Ein anderes Thema ist die Rückkehr von Flüchtlingen. Wir haben in dieser Frage darauf gedrängt, dass Menschen, in deren Heimat noch gekämpft wird, nicht aus den Flüchtlingslagern in Pakistan oder in Iran zurückkehren müssen.

tagesschau.de: Im Vorfeld der Präsidentenwahl sieht alles nach einem Wahlsieg für Hamid Karsai aus. Was erwarten Sie von ihm – konkret für die Frauen?

Lochbihler: Ich denke, dass Präsident Karsai seinen Einfluss im ganzen Land gelten machen muss – nicht nur im Großraum Kabul. Das ist die entscheidende Machtfrage, die ganz eng verbunden ist mit den Rechten der Frauen. Wenn ihm das nicht gelingt, dann wird es auch weiterhin nur in Kabul einigermaßen erträglich sein. Ein weiteres wichtiges Thema, das nicht nur die Frauen betrifft, ist die Todesstrafe. Wir würden uns wünschen, dass Bundeskanzler Schröder bei seinem anstehenden Besuch in Kabul darauf drängt, dass es in Afghanistan ein Moratorium bei der Todesstrafe gibt.