Interview zu Fidel Castro "Ein Diktator mit feinem Gefühl"
Kubas Staatschef Castro hat wegen einer Erkrankung erstmals seit 47 Jahren die Macht vorübergehend an seinen Bruder Raul abgegeben. Der ehemalige Auslandskorrespondent und spätere ARD-Chefredakteur Hartmann von der Tann erlebte den Maximo Lider mehrere Male persönlich. Gegenüber tagesschau.de beschreibt er den Diktator als charmanten Rechthaber, der zurzeit außenpolitisch einen späten Triumph genieße.
tagesschau.de: Fidel Castro hält sich seit 47 Jahren an der Macht. Wie konnte er dies schaffen?
Hartmann von der Tann: Vor allem durch sein persönliches Charisma und auch mit einer gewissen Beweglichkeit. Castro ist zweifelsfrei ein Diktator. Aber er ist ein Diktator, der ein sehr feines Gefühl dafür hat, wann er die Zügel anziehen kann und wann er sie locker lassen muss. Außerdem hat er die großen Probleme eines Landes der Dritten Welt gelöst.
tagesschau.de: Wann hat er die Zügel angezogen, wann hat er sie schleifen lassen?
Von der Tann: Zeitweise ließ er privatwirtschaftliche Aktivitäten zu, dann hat er sie wieder verboten. Zeitweise war der Dollar nur eine inoffizielle Währung, jetzt dürfen beispielsweise Kubaner aus dem Ausland Dollar haben. Das sind immer kleine Ventile, die Castro aufgemacht hat, wenn er merkte: Der Druck wird zu groß. Aber er hat das auch mal versäumt - und dann hat es fast Massenauswanderungen gegeben.
Castros später Triumph in Lateinamerika
tagesschau.de: Aber wie ist er mit dem außenpolitischen Druck fertig geworden?
Von der Tann: Der außenpolitische Druck hält seit Beginn der Revolution an. Die US-Amerikaner haben mehrfach versucht, ihn umzubringen. Sie haben versucht, sein System zu stürzen. Das ist ihnen nicht gelungen, daher ist Castro in den Ländern der Dritten Welt so etwas wie ein lebendes Denkmal. In Lateinamerika ist das Vorbild in den letzten 20 Jahren eher verblasst, da gab es dann die Entwicklung hin zum Wirtschaftsliberalismus. Jetzt scheint es allerdings so, als sei die Region auf dem Rückweg zu einem gemäßigten Sozialismus. Man denke nur an Hugo Chavez, der ein großer Freund von Fidel Castro ist.
tagesschau.de: Also ein später Triumph für Castro?
Von der Tann: Ganz sicher. Und er genießt das auch. Er reist auf dem Kontinent herum und erzählt, dass er Geschenke bekommt von den anderen Präsidenten. Und Castro ist ein Rechthaber. Er möchte beweisen, dass sein Lebenstraum - der Sozialismus - letztlich doch die Lösung ist. Vor diesem Hintergrund sind die Entwicklungen in Lateinamerika für ihn eine glänzende Bestätigung.
Ein liebenswürdiger Geschichtenerzähler
tagesschau.de: Sie sprachen Castros Charisma an. Wie ist er denn bei persönlichen Begegnungen?
Von der Tann: Er ist unglaublich einnehmend. Er kann die Menschen sofort faszinieren. Natürlich hält er gerne Vorträge und erzählt, was er für wichtig hält. Aber er verpackt es in kleine Geschichten. Er ist unglaublich lebendig, kann aber auch zuhören. Und er ist liebenswürdig. Ganz viele Menschen, die ihm ideologisch völlig entgegenstanden, haben sich von seinem Charme dann doch bezaubern lassen.
tagesschau.de: Was ist Ihnen als erstes an Castro aufgefallen?
Von der Tann: Ich hab diese unglaubliche Kraft empfunden, die der Mann ausstrahlt. Als ich Korrespondent war, konnte er noch Reden halten, die waren mehrere Stunden lang. Und er hatte nicht einen einzigen Moment den Faden verloren. Durch seine stets mächtige Ausstrahlung erreiche er, dass tausende Menschen ihm regelrecht an den Lippen hingen, sich nicht rührten, aber inhaltlich mitgingen. Wie bei einem Geschichtenerzähler.
Eine Tochter lebt bei Exil-Kubanern in Miami
tagesschau.de: Was macht ein Maximo Lider privat?
Von der Tann: Das ist eine große Frage. Er ließ da kaum Einblicke zu. Man weiß, dass er in seinen jüngeren Jahren eine große Anzahl von Verhältnissen hatte. Man weiß auch, dass er Kinder hat, einige davon haben sich losgesagt. Eine Tochter lebt zum Beispiel in Miami, da wo die bösesten Castro-Feinde leben. Aber wie er dann ganz persönlich ist - das weiß man nicht.
tagesschau.de: Castro ist von seinem System überzeugt. Ist es ihm wichtiger als die Menschen, die darin leben?
Von der Tann: Das glaube ich nicht. Denn in seiner subjektiven Sicht hat er für die Menschen das Beste erreicht, was unter den gegebenen Umständen möglich war. Und wenn man an den immer noch anhaltenden Boykott der Amerikaner denkt, an die schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen, an die Tatsache, dass der Ostblock Kuba lange Zeit ernährt und dann fallengelassen hat - dann ist er meiner Ansicht nach auch mit einem gewissen Recht dieser Ansicht.
Fidel steht außerhalb des Systems...
tagesschau.de: Wie wird Castro denn von den Menschen auf Kuba gesehen?
Von der Tann: Die meisten halten ihn für einen Helden. Wobei man nie die negativen Seiten des Systems vergessen darf. Doch wenn auch nur auf sehr niedrigem Niveau: Kuba ist in der Zeit von Fidel Castro stabil gewesen. Das ist ungewöhnlich für ein Land der Dritten Welt. Es gab nur ganz wenig Kriminalität, es gibt genug zu essen, es gibt eine ausreichende medizinische Versorgung, es gibt genügend Schulen. Diese Probleme hat er gelöst um den Preis der mangelnden Freiheit für die Bewohner in Kuba.
Aber das werden sie ihm nie vergessen. Die Menschen in Kuba geben Missstände zu. Aber sie sagen: Wenn Fidel das wüsste, dann würde er das abstellen. Sie nehmen ihn heraus und stellen ihn neben das System. Für seine Erfolge werden sie ihn in einem sehr ehrenden Angedenken halten.
tagesschau.de: Wo liegen seine Schwächen?
Von der Tann: Er glaubt an ein bestimmtes Gesellschaftsmodell und variiert es nur geringfügig. Mit dem Ergebnis, dass alle freiheitlichen Bestrebungen zu einem Ende kommen; sowohl wirtschaftlich wie auch politisch. Und das wird sich noch verschärfen, sollte er abtreten. Denn über seinen Bruder Raul weiß man, dass er härter ist als Fidel. Außerdem wird die Gemeinde der Exil-Kubaner mit Hilfe der Amerikaner mächtig aufrüsten und versuchen das System zu Fall zu bringen. Denn das Sytem wird durch Castro stabilisiert - und wenn er weg sein sollte, dann ist das System in großer Gefahr.
Hartmann von der Tann war in den 80er Jahren ARD-Fernsehkorrespondent in Mittelamerika, nach seiner Rückkehr nach Deutschland ARD-Chefredakteur und Koordinator für Politik, Kultur, Gesellschaft. Seit diesem Jahr ist er im Ruhestand.
Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de.