11. September 2001 New York ein Jahr danach: Ein Stimmungsbild
Ein Jahr nach den Anschlägen auf das World Trade Center versuchen die New Yorker noch immer in den Alltag zurückzufinden. Unter Stimmungen wie Trotz und Trauer mischen sich inzwischen auch Zweifel an der Politik Washingtons. Ein Bericht von ARD-Korrespondent Gerald Baars.
Rudy Giuliani war der entschlossene "Held". Michael Bloomberg ist ein besonnener Pragmatiker. Viele New Yorker haben ihren neuen Bürgermeister nach dem 11. September schätzen gelernt. Er verlässt sich nicht auf Bundeshilfen für den Wiederaufbau, sondern spart selbst, um das Riesenloch im Haushalt wieder zu schließen, und zwar auf allen Ebenen, sogar bei der aufgeblähten Polizei. Für seinen Vorgänger war dies ein Sakrileg. Bloomberg erhöht Steuern nur auf Luxusprodukte wie Tabak und Alkohol, um die schwer angeschlagene Wirtschaft nicht weiter zu schwächen.
Auf die Stadt hören
Und er geht sensibel um mit der Entscheidung, wie das Welthandelszentrum wieder aufgebaut werden soll. "Listening to the City" ist seine Devise. "Auf die Stadt hören" will er durch eine breit angelegte Bürgerbeteiligung. Das ist Neuland für New York! Nachdem die ersten Vorschläge für den Wiederaufbau bei der großen Anhörung im Juli so gut wie keine Zustimmung fanden, hat er sie gleich verworfen und eine neue Ausschreibung gestartet. Die New Yorker wollen keine neuen Bürotürme, sondern vor allem eine angemessene Gedenkstätte, umgeben von erschwinglichen Wohnungen, Geschäften und deutlich weniger Büros. Der Finanzdistrikt soll schließlich auch am Wochenende noch belebt sein.
Der New Yorker "Größenwahn" hat am 11. September einen spürbaren Dämpfer erhalten. Nicht allein Geld regiert die Stadt, auch die Bewohner werden heute gefragt. Und viele von ihnen haben Werte wieder entdeckt, die über "Make Money", das Geld Machen, hinausgehen. Natürlich stehen sie hinter ihrem Präsidenten im "Krieg gegen den Terrorismus", aber sie fragen sich auch: "Warum hassen sie uns?" - Fragen, die den Menschen im Mittleren Westen nicht so schnell in den Sinn kommen.
Kritischer Blick nach Washington
Am Sitz der Vereinten Nationen wird ein wenig über den nordamerikanischen Tellerrand hinausgeschaut. Und sei es auch nur aus Angst vor einem neuen Anschlag. Bushs Alleingänge in der UNO - von Kyoto über die Raketenabrüstung, den Internationalen Strafgerichtshof bis zum Irak - werden in New York mehr wahrgenommen als in den "Mainstream"-USA. In New York gibt es auch wöchentlich Demonstrationen gegen die anhaltende Inhaftierung von vermeintlichen "Terrorismus-Verdächtigen". Über 300 Ausländer werden noch festgehalten - ohne Anklage oder anwaltliche Vertretung. Ursprünglich waren es über 1200. Die Einschränkung der Rechte für "Nicht-US-Bürger" im neuen "Patriotischen Gesetz" wird in der Weltmetropole mehr als anderswo empfunden. 60 Prozent der New Yorker sind schließlich selbst unmittelbar Zuwanderer oder Zugereiste.
New York zwischen Trotz und Zweifel
"Wir lassen uns nicht unterkriegen!", heißt es zwar hier auch. Aber diese trotzige Grundhaltung übertüncht nur mühsam die Trauer, Ängste und Zweifel. Unmittelbar betroffen, fallen den New Yorkern die Antworten auf die Weltprobleme nicht so leicht wie ihrem Präsidenten, von dem sie sich zudem am 11. September im Stich gelassen fühlten. Giuliani war vor Ort, Bill Clinton kam vorbei, aber George W. Bush ließ sich drei Tage lang nicht sehen. Auch die Vertrauenskrise an der Wall Street dank Enron, Worldcom und Co. kriegt er nicht in den Griff. Das Land rutscht in die nächste Rezession. Diesmal ist sie hausgemacht. In New York hätte der Präsident die Zustimmung schon längst verloren, würden die USA sich nicht im Krieg befinden. Im Krieg muss man zusammenhalten.
Die New Yorker gedenken am 11. September ihrer Opfer - wieder ohne ihren Präsidenten. Bush kommt erst am Nachmittag für eine eigene Trauerfeier mit Staats- und Regierungschefs, um seine bröckelnde Allianz gegen den Terrorismus zu beschwören.
Die New Yorker dagegen fragen sich zunehmend, warum bei den vielen Hinweisen und Warnungen die Anschläge nicht verhindert werden konnten, warum Bin Laden noch immer nicht gefasst wurde; warum sich Bush so wenig um den Nahen Osten kümmert ... und anscheinend nur ein Ziel hat: Sadam Hussein. Und das macht vielen von ihnen auch Angst.
Ein Bericht von ARD-Korrespondent Gerald Baars, New York, für tagesschau.de