Karl Kopp im Interview "Keine Alternative zu einer europäischen Lösung"
tagesschau.de: In der EU gilt der Stichtag 1. Mai. Bis dahin wollen die Innenminister die Grundlagen für ein einheitliches Asylrecht schaffen. Sie haben sich nun auf erste gemeinsame Standards geeinigt. Unter anderem gilt nicht-staatliche Verfolgung künftig als Asylgrund. Das bedeutet, dass auch Deutschland diese als Asylgrund anerkennen wird. Ist das nicht ein Erfolg für den Flüchtlingsschutz?
Kopp: Das sehe ich genau so. In Europa herrschte eigentlich schon seit Jahren weitgehend Konsens, dass Opfer nicht-staatlicher Verfolgung und geschlechtsspezifischer Verfolgung in den Schutzbereich der Genfer Flüchtlingskonvention fallen. Nur ein Land hatte sich jahrelang gesträubt: Deutschland. Deshalb freuen wir uns, dass die deutsche Regierung in diesem Punkt zu Zugeständnissen bereit war. Es bleibt zu hoffen, dass diese EU-Richtlinie nun auch in nationales Recht umgesetzt wird.
tagesschau.de: Wie bewerten Sie die gemeinsamen EU-Aktivitäten in Sachen Grenzschutz? Es gibt beispielsweise Abkommen zwischen EU-Staaten mit Anrainern, zum Schutz der Außengrenzen verstärkt zusammenzuarbeiten.
Kopp: Ich finde es problematisch, dass versucht wird, so genannte Transitstaaten, die zum Teil aber auch Herkunftsländer sind, in die Fluchtabwehr mit einzubeziehen. So hat Italien Abkommen mit Tunesien und Libyen geschlossen. Doch über diese beiden Regime kann man mit Fug und Recht sagen, dass sie es nicht immer so mit den Menschenrechten haben. Dass man diese Staaten aber mit einbezieht in die Fluchtverhinderung, ist aus menschenrechtlicher Sicht sehr problematisch. Italien und die EU gehen aber diesen Weg. Sie machen diese Staaten zunehmend zu Grenzwächtern, zu Türstehern nach Europa.
tagesschau.de: Ein weiterer Streitpunkt besteht noch: Nach wie vor ungeklärt ist, ob Asylsuchende, die aus so genannten sicheren Drittstaaten nach Europa kommen, an der Grenze zurückgewiesen werden können. In Deutschland ist die Drittstaaten-Regelung bereits Gesetz. Sie sprechen sich vehement dagegen aus. Warum?
Kopp: Zunächst stellt sich die Frage, ob ein Bund von bald 25 Staaten überhaupt eine solche Regelung braucht. Wir fordern, dass ein faires Asylverfahren in Europa stattfinden darf. Diesen Standpunkt hatte zunächst auch die EU-Kommission vertreten. Speziell Deutschland machte sich aber für seine restriktive Position stark, andere Staaten zogen nach. Künftig könnte es also möglich sein, dass ein Grenzer einen Asylsuchenden ohne Asylprüfung die Einreise verweigert, weil dieser Mensch aus einem Drittstaat kommt, der die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschrechtskonvention unterzeichnet hat.
tagesschau.de: Wer gehörte zu diesen neuen sicheren Drittstaaten?
Kopp: Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, wären dies die Anrainerstaaten der EU, also Russland, Weißrussland, Ukraine, Rumänien, Bulgarien, Serbien, Kroatien, Mazedonien und die Türkei. Selbst wenn diese Staaten internationale Konventionen unterschrieben haben, sagen doch die meisten Beobachter, dass sowohl die Menschenrechtssituation zum Teil sehr schlecht als auch die Flüchtlingsstandards noch gar nicht vorhanden sind. Wenn auf Druck Deutschlands die Drittstaatenregelung EU-weit verankert würde, legte die EU die Axt an ihr Asylrecht an.
tagesschau.de: Das heißt, Sie sehen in der Drittstaaten-Regelung einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die Grundlage für ein EU-weites Asylrecht ist?
Kopp: So ist es. Das sagt im Übrigen auch das UNHCR. Die EU würde somit ihre Glaubwürdigkeit in der Frage von Flüchtlings- und Menschenrechtsschutz verspielen. Wenn es zu so einer Regelung käme, könnten Menschen sogar qua Kettenabschiebung bis ins Verfolgerland durchgereicht werden. Und die als sichere Drittstaaten definierten Staaten würden ebenfalls Regelungen suchen, um sich der Flüchtlinge zu erwehren.
tagesschau.de: Was fordern Sie von Europa?
Kopp: Um es klar zu sagen: Wir wollen ein gemeinsames europäisches Asylrecht, seit Jahren fordern wir das. Ein EU-weites System würde den permanenten Wettlauf der Restriktionen beenden. In den vergangenen Jahren ist hat die Qualität der Asylpolitik aus unserer Sicht in den EU-Staaten immer mehr abgenommen. Es gibt mehr Lager, mehr Haftanstalten, mehr Schnellverfahren, weniger Familienzusammenführungen. Deshalb müssen Standards definiert werden, die nicht unterschritten werden dürfen. Und wer das tut, muss mit Sanktionen rechnen, wie es in anderen Bereichen der EU schon passiert.
Wir fordern ferner einen transparenten Prozess, in den das EU-Parlament einbezogen ist. Bislang finden die Gespräche hinter verschlossenen Türen der Innen- und Justizminister statt. Wir wollen aber nicht, dass sich auf eine Asylverfahrensrichtlinie verständigt wird, die sichere Drittstaaten definiert. Es sollte lieber keine Richtlinie beschlossen werden als so eine. Der Prozess ist in den ersten fünf Jahren dramatisch an die Wand gefahren. Es gibt aber keine Alternative zu einer europäischen Lösung.
Das Interview führte Susanne Ofterdinger vor den abeshcließenden Beratungen der EU-Innenminister am 29. April 2004.