Hintergrund

Hintergrund Definitions-Dilemma: Was ist Terrorismus?

Stand: 27.08.2007 09:58 Uhr

Die Antwort auf diese Frage hat ihre Tücken. Eine erschöpfende oder gar verbindliche Definition gibt es nicht - und das hat nicht zuletzt völkerrechtliche Konsequenzen. Versuch einer Begriffsklärung.

Von Jan Oltmanns, tagesschau.de

Als am 11. September 2001 Terroristen zwei Flugzeuge in das World Trade Centers steuerten, befürchtete mancher, dass mit den Zwillingstürmen auch die bisher bekannte Ordnung einstürzen werde. "Nichts wird mehr so sein, wie es war", lautete der Kommentar der Stunde.

Heute scheint es, als habe sich dies zumindest ein Stück weit bewahrheitet. Das Gespenst des Terrorismus hält die Welt fest im Griff: Auf New York folgten die Anschläge in Bali, Kabul, Bagdad, Riad und Istanbul. Mit den Bomben in den Madrider Vorortzügen erreichte das Gespenst schließlich direkt Europa. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten sehen im Terrorismus heute die Bedrohung des 21. Jahrhunderts. Nach eigener Anschauung befinden sie sich im Krieg gegen den Terrorismus und die Staaten, die ihn unterstützen.

Die Fronten in diesem Konflikt sind für die Protagonisten klar abgesteckt: Die radikalislamistischen Terroristen bedienen sich einer einfachen Weltsicht: Religiös verbrämt verteufeln sie die westliche Welt insgesamt. Allen voran gelten ihnen die Vereinigten Staaten als Erzfeind, den es im Namen Gottes zu vernichten gilt. Hinzu kommen all jene arabischen Regimes, die in irgendeiner Weise westlicher Lebens- und Denkweisen verbunden sind. US-Präsident Bush lässt seinerseits keinen Zweifel daran, an welchem Punkt die Welt heute steht: "Es gibt keine Neutralität im Kampf von Zivilisation und Terror, denn es gibt keine Neutralität zwischen Gut und Böse, Freiheit und Sklaverei, Leben und Tod", sagte er beispielsweise in seiner Rede zum Jahrestag des Irak-Krieges.

Freiheitskämpfer oder Terrorist? - Ein Definitions-Dilemma

Die Anschläge in New York und Washington markieren in der öffentlichen Diskussion über Terrorismus einen Wendepunkt: Tauchte der Begriff vor dem 11. September nur sporadisch auf, bestimmt er heute die weltpolitische Agenda. Gerade seine inflationäre und oftmals emotional aufgeladene Verwendung aber macht jeden Definitionsversuch zu einem schwierigen Unterfangen, denn: Diejenigen, die über Terrorismus sprechen, verstehen darunter nur selten das Gleiche.

Der in diesem Zusammenhang oft zitierte Satz "Des einen Terrorist ist des anderen Freiheitskämpfer" umreißt dieses Problem und wirft zugleich eine ethische Frage auf, an deren Antwort sich die Geister scheiden: Rechtfertigt der Einsatz für eine als gerecht empfundene Sache, zu entsetzlichen Mitteln zu greifen? Ja, meinen radikale Organisationen wie Al Kaida, Hamas, Hisbollah oder Islamischer Dschihad. Berechtigter Widerstand könne nie mit Terrorismus gleichgesetzt werden, erklärte etwa jüngst der einflussreiche Führer der radikalislamistischen Hisbollah, Hassan Nasrallah mit Blick auf den Nahost-Konflikt. Einige islamische Staaten neigen dazu, diese Sichtweise zumindest zu tolerieren. In der westlichen Welt dagegen werden Anschläge auf Unschuldige allgemein als Verbrechen verstanden.

Für den renommierten Sozialwissenschaftler und Publizisten Harald Welzer ist klar: "Terrorismus ist das ungezielte Töten unschuldiger Menschen mit der Absicht, eine um sich greifende Furcht zu erzeugen". So richtig diese Annahme aus einer moralischen Perspektive auch ist, die konkrete Bewertung solcher gegen einen Staat gerichteten Gewalttaten bleibt eine hoch ideologisierte Angelegenheit: Ob sie als Terrorismus gewertet werden, hängt ganz offensichtlich vom politischen Standpunkt ab.

Bereits an dieser Erkenntnis scheitert eine grenzüberschreitende Definition. Mit den globalen Operationen Al Kaidas aber hat auch der Kampf gegen den Terrorismus internationale Ausmaße angenommen. Die Frage, wer ein Terrorist ist, erhielt damit eine völkerrechtliche Bedeutung.

Wer ist der Feind? - Herausforderung an die Weltgemeinschaft

Die Politik bemüht sich daher fortgesetzt um eine eindeutige - weil damit strafrechtlich relevante - Definition. Nur einen Tag nach dem 11. September verabschiedeten die Vereinten Nationen einstimmig eine Resolution, in der Terrorismus erstmals als Bedrohung für den Weltfrieden eingestuft und betroffenen Staaten das Recht auf Selbstverteidigung zugebilligt wurde. Alle Mitgliedsländer verpflichteten sich damals zur Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus. An der konkreten Umsetzung allerdings hapert es bis heute, denn eine konkrete Definition des Begriffs scheiterte an islamischen Staaten, die Ausnahmen für "Befreiungsbewegungen" verlangten.

Auch die USA und die Europäische Union haben versucht, das politische Phänomen Terrorismus strafrechtlich zu fassen. Anders als die UNO bemühte man sich aber gar nicht erst um eine exklusive Definition, sondern benannte lediglich Taten, die auch - aber nicht nur - terroristischen Ursprungs sein können. Sowohl der amerikanische Kongress als auch die EU-Justizminister machten dabei die politischen Motive von Terroristen zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen. Als terroristischer Akt werden Handlungen angesehen, deren Ziel es ist, die die Bevölkerung der betroffenen Staaten einzuschüchtern und ihre Regierungen zu beeinflussen.

Aber auch diese Definition hat ihre Haken: Sie unterstellt den Todespiloten vom 11. September und anderen Attentätern ein politisches Motiv, das nicht unbedingt vorhanden sein muss. Was, wenn Mohammed Atta und seine Komplizen darauf aus waren, in ihren Augen Ungläubige zu töten? Für das irrationale Moment religiösen Eifers gibt es in der Definition keinen Platz. Und Bürgerrechtler befürchten, dass eine derart weit gefasste Definition dem Missbrauch gegen unliebsame Gegner im eigenen Land Tür und Tor öffnen könnte. Und tatsächlich gibt es Auswüchse der Anti-Terror-Gesetzgebung, die beispielsweise in den USA zu nahezu willkürlichen Inhaftierungen geführt haben.

Lesen Sie auch den zweiten Teil des Artikels: Transformationen des Terrors