Vor Brexit-Abstimmung Ein letzter Appell
Vor dem entscheidenden Brexit-Votum hat die britische Premierministerin May eindringlich vor einem Auseinanderbrechen des Landes gewarnt. Mit Zusicherungen aus Brüssel warb sie um die Gunst der Parlamentarier.
Die britische Premierministerin Theresa May hat vor einem Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs im Falle eines EU-Austritts ohne Abkommen gewarnt. Ein sogenannter No-Deal-Brexit würde die Befürworter einer schottischen Unabhängigkeit und eines Zusammenschlusses von Nordirland und Irland stärken, warnte May bei einer Parlaments-Ansprache am Vorabend der entscheidenden Abstimmung. "Das ist mit Sicherheit die eigentliche Bedrohung für unsere Union", so May.
In der Rede versicherte May gleichzeitig, der Brexit werde keinesfalls verschoben. "Ich glaube nicht, dass das Datum 29. März verschoben werden sollte", sagte sie in London. Der EU-Austritt an diesem Tag bleibe das Ziel ihrer Regierung. Zuvor hatte der "Guardian" unter Berufung auf mehrere EU-Vertreter berichtet, der 29. März werde in Brüssel mittlerweile als sehr unwahrscheinlicher Austrittstermin angesehen. Eine "technische" Verlängerung des Austrittsprozesses bis Juli sei demnach ein wahrscheinlicher Schritt.
May rührt die Werbetrommel
Mit allen Kräften versucht sie, die Zustimmung der Parlamentarier zu dem mit der EU ausgehandelten Vertrag zu gewinnen. "Geben Sie diesem Deal eine zweite Chance", appellierte sie. Nur die Zustimmung zum Austrittsabkommen am Dienstagabend könne einen chaotischen EU-Austritt oder einen Stopp des Brexits verhindern.
Dafür holt sie sich auch Rückendeckung aus Brüssel. In einem Brief sicherten EU-Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionschef Jean-Claude Juncker der angeschlagenen Regierungschefin zu, dass die Zusicherungen zur Nordirland-Frage "einen rechtlichen Wert" hätten. Man sei entschlossen, die Klausel mit einer dauerhaften Lösung zu ersetzen, die eine harte Grenze in Irland auf Dauer ausschließe.
Schlechte Aussichten
Das britische Parlament soll am Dienstag über das Abkommen abstimmen. May werden jedoch kaum Chancen eingeräumt, eine Mehrheit für ihren Deal zu bekommen. Etwa 100 Abgeordnete ihrer eigenen Partei haben sich bereits gegen das Abkommen ausgesprochen. Auch die nordirische Protestantenpartei DUP, von deren Stimmen Mays Minderheitsregierung abhängt, will gegen den Austrittsvertrag votieren. Und die Oppositionsparteien wollen sowieso geschlossen gegen Mays Deal stimmen. Labour-Chef Jeremy Corbyn kündigte im Fall einer Niederlage Mays bereits ein Misstrauensvotum im Parlament an.
Tory-Abgeordneter gibt Fraktionsamt auf
Aus Protest gegen Mays Abkommen legte heute der Tory-Abgeordnete Gareth Johnson sein Amt in der Fraktion nieder. Johnson, der seit November als "whip" (Einpeitscher) für Fraktionsdisziplin sorgen sollte, begründete den Schritt mit Zweifeln am Backstop. Dieser soll eine harte Grenze und Kontrollen zwischen Nordirland - das zum britischen Königreich gehört - und Irland - das Mitglied der EU bleibt - verhindern.
Die Nordirland-Frage gilt als größtes Problem im Brexit. Nach der Auffanglösung im Austrittsvertrag bliebe das Vereinigte Königreich nach dem Brexit ohne andere Vereinbarung in einer Zollunion mit der EU. Die Brexit-Hardliner in Mays konservativer Partei kritisieren, dass Großbritannien dann auf unabsehbare Zeit an die EU gebunden bliebe und keine eigene Handelspolitik betreiben könne.
Oberhaus warnt vor Mays Abkommen
Das mehrheitlich EU-freundliche Oberhaus (House of Lords) stimmte am späten Abend nach einer dreitägigen Debatte einem Antrag zu, in dem gewarnt wird, dass Mays Abkommen mit der EU den Wohlstand, die innere Sicherheit und den weltweiten Einfluss des Königreichs beschädigen werde. Zudem warnte das Oberhaus vor den Gefahren eines Brexit ohne Abkommen.
In der Regel wählen die Briten alle fünf Jahre ihre Abgeordneten im Unterhaus, die meisten Mitglieder des Oberhauses werden dagegen auf Lebenszeit ernannt. Üblicherweise müssen Entscheidungen des einen Hauses im anderen bestätigt werden.