Machtkampf in Mali "Das Land ist wirklich in einem Dilemma"
Rebellen im Norden, eine schwache Regierung im Süden: Die Politikwissenschaftlerin Charlotte Heyl meint, eine Intervention in Mali sei notwendig gewesen. Die islamistischen Rebellen verfügen zwar über wenig Rückhalt in der Bevölkerung, dennoch drohe ein langer Krieg.
tagesschau.de: Die Islamisten halten bereits seit Monaten den Norden Malis besetzt. Warum nun plötzlich die französische Intervention?
Charlotte Heyl: Anlass war eine Offensive der islamistischen Gruppen im Norden in der vergangenen Woche, die in Richtung Süden vorgedrungen sind. Die Islamisten nahmen unter anderem einen strategisch wichtigen Flughafen ein. Mit dem Eingreifen Frankreichs hat der Krieg begonnen.
Die Politikwissenschaftlerin Charlotte Heyl ist Mitarbeiterin am German Institute of Global and Area Studies (GIGA) für Afrika-Studien in Hamburg. Sie forscht unter anderem zu Demokratisierungsprozessen in Westafrika. Einer ihrer Themenschwerpunkte ist Mali.
tagesschau.de: Frankreich verfügt über eine moderne Luftwaffe. Wie sind die Islamisten ausgerüstet?
Heyl: Das ist schwer zu sagen. Frankreich braucht eine starke Legitimation für diesen Militärschlag. Allerdings ist es kaum zu beurteilen, welche Rebellengruppen gerade mehr Waffen und Geld haben und woher der Nachschub kommt.
tagesschau.de: Woher könnten denn Geld und Waffen kommen?
Heyl: Es wird spekuliert, dass es sich um Waffen des ehemaligen Gaddafi-Regimes handelt, aber auch aus Katar sollen die Islamisten unterstützt werden.
tagesschau.de: Welche Ziele haben die Islamisten?
Heyl: Die offizielle Agenda ist, einen Gottesstaat mit der Scharia einzuführen; die inoffizielle Agenda ist, einen rechtsfreien Raum zu schaffen, wo bereits in den vergangenen Jahren sehr viel Drogen- und Waffenhandel betrieben wurde.
tagesschau.de: Welchen Rückhalt haben die Islamisten in der Bevölkerung?
Heyl: Insgesamt ist der Islam in Mali moderat, besonders in Bamako. Auch einige Rebellen waren zunächst keine Anhänger des fundamentalistischen Islams. Diese haben auch noch eine gewisse lokale Anbindung, während es sich bei anderen Gruppen um externe Akteure handelt - beispielsweise aus Mauretanien. Im Norden soll es Kooperationen mit Islamisten geben, aber die Leute schließen sich eher aus materiellen Gründen den Rebellen an.
tagesschau.de: Der Rückhalt ist also gering, dennoch können die Islamisten ein großes Gebiet, nämlich den Norden Malis, kontrollieren. Warum?
Heyl: Der Staat war in den vergangenen Jahren im Norden Malis schwach, zudem ist die Sahel-Zone ein dünn besiedeltes Gebiet. Die malische Armee war nicht gut ausgerüstet, als die Rebellen ihre Angriffe begannen. Das Militär ist im Prinzip weggelaufen. Durch den Rückzug hatten die Islamisten Zeit, die Städte unter ihre Kontrolle zu bringen und teilweise eigene Strukturen aufzubauen. Im Norden wurde dann das islamische Recht, die Scharia, angewandt.
tagesschau.de: Mit welchen Folgen für die Bevölkerung?
Heyl: Es liegen Berichte über Steinigungen vor, über Strafen wie Hände abhacken, auch über sexuelle Gewalt gegen Frauen. Zu den massiven Menschenrechtsverletzungen kommt hinzu, dass die Islamisten Kulturdenkmäler zerstörten.
tagesschau.de: Warum war der malische Staat so schwach, warum konnte er die Rebellen nicht zurückdrängen?
Heyl: Der Konflikt den wir jetzt erleben, hat Anfang 2012 begonnen: In Bamako putschte das Militär, weil es der Meinung war, man müsste stärker gegen die Islamisten vorgehen. Der Putsch in Bamako war also eine Reaktion auf das schwache Vorgehen auf den Konflikt im Norden. Doch nach dem Putsch herrschte ein Machtvakuum, die politischen Kräfte blockierten sich gegenseitig, während zwei Drittel des Landes von Islamisten besetzt waren. Auch bei den Verhandlungen mit externen Akteuren, um eine Intervention im Norden vorzubereiten, ging es lange nicht voran.
tagesschau.de: Es scheint auf den ersten Blick einen großen Gegensatz zwischen Nord- und Südmali zu geben - politisch, wirtschaftlich, aber auch klimatisch. Wie stark ist in Mali der Wille, die staatliche Einheit zu verteidigen?
Heyl: Im Norden und noch stärker im Süden gibt es ein sehr starkes Verständnis von Mali als einer territorialen Einheit. Die Tuareg, die im Norden immer wieder Konflikte angeheizt haben, sind nur eine Minderheit von vielen. Andere Bevölkerungsgruppen fühlen sich dem malischen Staat zugehörig. In Bamako gab es immer wieder Demonstrationen für und wider einer militärischen Intervention von außen. Keine Gruppe hat dabei eine Teilung des Landes gefordert. Die Mehrheit ist schon lange für ein militärisches Vorgehen, die Frage war nur, ob es ein externer Akteur oder das malische Militär sein sollte.
tagesschau.de: Nun hat Frankreich in den Konflikt eingegriffen, wie sind die Reaktionen in Mali?
Heyl: Es ist eine große Erleichterung, dass nun etwas passiert. Bei meinem letzten Besuch in Bamako im Oktober haben viele Gesprächspartner die Notwendigkeit einer externen Intervention betont - und zwar lieber heute als morgen. Mali ist den Franzosen zunächst dankbar. Gleichzeitig gibt es wie in allen ehemaligen französischen Kolonien auch ein sehr gespanntes Verhältnis zu Frankreich.
tagesschau.de: Also keine Sympathien für die Islamisten als vermeintliche Kämpfer gegen einen Neokolonialismus?
Heyl: Nein, eher werden die Islamisten als Eindringlinge wahrgenommen. In Mali herrscht ein Selbstverständnis von einem friedlichen Volk, das mit Konsens regiert wird, und von einem moderaten Islam. Die Einführung der Scharia im Norden wird klar abgelehnt.
tagesschau.de: Bundesaußenminister Westerwelle hatte im vergangenen Jahr vor einem Militäreinsatz gewarnt. Wie bewerten Sie das französische Vorgehen?
Heyl: Die UNO hatte gefordert, mit einigen Rebellen-Gruppen zu verhandeln, in Bamako wurde das sehr kritisch gesehen, weil nicht klar war, worüber man überhaupt verhandeln sollte. Ich sehe das ähnlich, dass ein militärisches Vorgehen notwendig geworden ist. Externe Interventionen sind natürlich immer sehr schwierig, und es ist kaum zu beurteilen, inwieweit der Militärschlag zu einem guten Ausgang beitragen kann. Aber es musste etwas passieren, es war notwendig zu handeln.
tagesschau.de: Welche Rolle spielt Frankreich in diesem Konflikt, welche Interessen haben Paris und Europa?
Heyl: Frankreich hatte angeblich bereits 2010 mit einer Rebellengruppe verhandelt, um diese für den Kampf gegen die Islamisten zu gewinnen. Die Logik war: Ihr kämpft gegen die Islamisten, dafür bekommt ihr mehr Autonomie oder sogar einen unabhängigen Staat. Damit war Malis Regierung natürlich nicht einverstanden. Frankreich hat eigene Interessen, weil mehrere französische Staatsbürger von Islamisten entführt worden waren. Zudem ist der Sahel-Raum nicht weit weg von Europa - und es hat starke Wirkung auf die Nachbarstaaten, wenn in Mali Islamisten stärker werden. Das destabilisiert die gesamte Region.
tagesschau.de: Kann man generell sagen, dass in Westafrika islamistische Kräfte stärker geworden sind - und ist es überhaupt sinnvoll, mit solchen Gruppen zu verhandeln?
Heyl: Die islamistischen Kräfte in Westafrika sind stärker geworden. Das gilt beispielsweise auch für Nigeria. Bei Verhandlungen kommt es darauf an, was die Basis dafür sein soll. In Mali haben massive Menschenrechtsverletzungen stattgefunden, da gibt es wenig zu verhandeln.
tagesschau.de: Wie geht es nun weiter in Mali?
Heyl: Es wird wohl einen längeren Krieg geben - und ich halte es für möglich, dass man die Islamisten nicht ganz unter Kontrolle bringt. Zudem ist die Führung Malis nicht stabil. Man ist sich sehr uneinig, wie man zurück zur Demokratie kehren kann. Würde man zunächst Wahlen durchführen, würden sich diese auf den Süden beschränken, da der Norden besetzt ist. Die neue Regierung wäre deswegen nur eingeschränkt demokratisch legitimiert; zum anderen würde dies wie eine Akzeptanz der Teilung wirken. Das will niemand in Bamako. Das Land ist wirklich in einem Dilemma.
Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de