Beginn der Brexit-Verhandlungen London zeigt Härte
Fast ein Jahr nach dem Votum der Briten für den EU-Austritt sitzen die Brexit-Unterhändler nun erstmals an einem Tisch. Die EU versucht bis zuletzt, die Regierung in London von einen Verbleib zu überzeugen. Doch die zeigt Härte und beharrt auf ihrer Position.
Vor Beginn der Brexit-Verhandlungen heute um 11 Uhr in Brüssel hält die Europäische Union die Tür für Großbritannien offen. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sagte, das Vereinigte Königreich könne im EU-Binnenmarkt bleiben, wenn es die Bedingungen erfülle. Der Brexit-Beauftragte des Europaparlaments, Guy Verhofstadt, hält sogar eine Abkehr vom EU-Austritt für denkbar.
Die britische Regierung erteilte solchen Spekulationen aber eine Absage. Es gebe kein Zurück mehr, sagte Brexit-Minister David Davis. Davis will heute in Brüssel die Verhandlungen mit der EU über den Brexit aufnehmen, der bis Ende März 2019 vollzogen sein soll. Ziel des Treffens ist es, sich zunächst auf den Ablauf und die Organisation der Verhandlungen zu einigen.
Bedingungen der Trennung und künftige Beziehung
EU-Unterhändler Michel Barnier will bis Herbst zunächst die Bedingungen der Trennung und die finanziellen Pflichten Londons klären. Anschließend soll es bis Oktober 2018 um Eckpunkte der künftigen Beziehungen gehen.
Die EU hat eine Abfolge vorgegeben, die Großbritannien inzwischen offenbar akzeptiert. Zunächst soll über drei wichtige Themen gesprochen werden. Erstens die Rechte der rund 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien und der rund eine Million Briten in den bleibenden 27 EU-Ländern. Zweitens die Abschlussrechnung für die britische EU-Mitgliedschaft, die sich Schätzungen zufolge auf rund 100 Milliarden Euro belaufen könnte. Und drittens die weitere Durchlässigkeit der Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland.
Geschwächt in die Verhandlungen
Die britische Regierung geht nach der Wahlschlappe der Konservativen von Premierministerin Theresa May vom 8. Juni geschwächt in die Verhandlungen. May will ihr Land aus dem Binnenmarkt und der europäischen Zollunion führen und stattdessen ein besonderes Freihandelsabkommen mit der EU.
Seit der Unterhauswahl, bei der die Konservativen ihre Mehrheit verloren, bekommt die Premierministerin allerdings Gegenwind für ihre harte Linie. So kündigte die oppositionelle Labour-Partei an, für den Verbleib in der Zollunion zu werben. Die Regierung solle sich Optionen offen halten, forderte Brexit-Experte Keir Starmer.
Labour hat allerdings auch keine Mehrheit, und die Regierung bekräftigte ihre harte Linie. "Es sollte keine Zweifel geben - wir verlassen die Europäische Union", sagte Davis. Die Regierung werde das historische Ergebnis des Brexit-Referendums durchsetzen, bei dem sich eine Mehrheit 2016 für den EU-Austritt entschied.
Hammond unterstützt Mays Linie
Schatzkanzler Philip Hammond bekräftigte auch das Ziel eines Austritts aus Binnenmarkt und Zollunion. Unklar sei aber noch, wodurch die Zollunion ersetzt werden könne, um den reibungslosen Grenzverkehr zwischen der Republik Irland und der britischen Region Nordirland nicht zu gefährden, sagte Hammond der BBC. All das müsse schrittweise entschieden werden. Er sprach von einer möglichen Übergangslösung für einige Jahre, bis man eine neue Lösung finde.
Hammond blieb aber bei Mays Linie, die Verhandlungen mit der EU notfalls platzen zu lassen. Zwar sei keine Vereinbarung ein "sehr, sehr schlechtes Ergebnis", aber noch schlimmer wäre eine Vereinbarung, die die "Lebenssäfte aus unserer Wirtschaft" zöge.
Die EU-Seite hält ein Ausscheiden Großbritanniens ohne Vertrag für extrem schädlich. Vor allem das Schicksal von Millionen EU-Bürgern in Großbritannien und Briten auf dem Kontinent bliebe dann ungeklärt, auch für die Wirtschaft werden chaotische Folgen befürchtet.
Schulz appelliert an britische Regierung
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz appellierte an London. "Ich hoffe, dass die britische Regierung bei den morgen beginnenden Brexit-Verhandlungen den Realismus und die Kompromissbereitschaft zeigt, an dem es in der Vergangenheit gemangelt hat", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die EU sollte alles für eine tragfähige Beziehung tun, ohne von ihren Grundprinzipien abzurücken.
Schulz' Parteikollege Gabriel sagte der "Welt am Sonntag": "Vielleicht gibt es jetzt eine Chance, einen sogenannten weichen Brexit hinzubekommen." Das hieße, dass Großbritannien im Binnenmarkt bleibt. "Aber das heißt dann natürlich auch Arbeitnehmerfreizügigkeit", betonte Gabriel. Außerdem müsse London den Europäischen Gerichtshof akzeptieren - oder ein ähnliches Gericht.