Untersuchung im Fall Litwinenko "Staatlich veranlasste Ermordung"?
Neun Jahre wurde der Mord an dem Ex-KGB-Spion Litwinenko nicht richtig untersucht - aus Rücksicht auf die Beziehungen zu Russland. Doch nun wird der Fall neu aufgerollt. Der Richter hält eine "staatlich veranlasste Ermordung" für denkbar.
Neun Jahre wurde der Mord an dem Ex-KGB-Spion Litwinenko in England nicht richtig verfolgt - aus Rücksicht auf die Beziehungen zu Russland. Doch nun wird der Fall untersucht. Der Richter hält eine "staatlich veranlasste Ermordung" für denkbar.
Marina Litwinenko hat nicht locker gelassen. Die Witwe Alexander Litwinenkos will Klarheit über den Tod ihres Mannes, über die Täter und die Hintergründe. Die britische Regierung hatte sich lange gegen die erneute Untersuchung des Falls gewehrt. Aus Gründen der nationalen Sicherheit und mit Rücksicht auf die Beziehungen zu Russland. Doch inzwischen ist das Klima zwischen London und Moskau ohnehin stark abgekühlt - und so gab Innenministerin Theresa May schließlich grünes Licht.
Der frühere Hohe Richter Robert Owen leitet die Untersuchung. Er erklärte heute zum Auftakt: "Die bisherigen Untersuchungen habe den Vorwürfen Nahrung gegeben, dass es sich hier um die staatlich veranlasste Ermordung eines britischen Staatsbürgers in London durch radioaktives Material gehandelt hat. Das ist Anlass genug für größte öffentliche Beunruhigung."
Witwe hofft auf Wahrheit
Marina Litwinenko kann jetzt hoffen, dass nun doch noch die Wahrheit ans Licht kommt. Sie sagte dem ARD-Studio London zum Auftakt der Untersuchung: "Mein Mann wurde vor acht Jahren getötet. Es ist wichtig zu wissen, wer das hochradioaktive Polonium 210 nach London gebracht hat, mit dem er getötet wurde. Und wer dafür verantwortlich war. Wahrscheinlich werden wir das am Ende dieser Untersuchung wissen."
Am 1. November 2006 hatte sich der Ex-KGB und Ex-FSB Agent Alexander Litwinenko in der Bar des Millennium Hotels am Grosvenor Square mit seinem früheren Geheimdienst-Kollegen und heutigen Duma-Abgeordneten Andrej Lugowoi getroffen. Mit dabei war auch Dimitri Kowtun, der damals als Geschäftsmann in Hamburg lebte. Litwinenko trank Tee. Am Abend fühlte er sich plötzlich unwohl. Er wurde ins Krankenhaus eingeliefert, verlor alle Haare, wurde immer schwächer und starb drei Wochen später.
Russland verweigert Auslieferung Verdächtiger
Sein Urin wies eine milliardenfach erhöhte Strahlung auf - Litwinenko war mit dem hochradioaktiven Polonium 210 vergiftet worden. Wie Scotland Yard später herausfand war das Gift in dem Tee, den Litwinenko in der Millennium-Bar getrunken hatte. Es war Mord - sagten die britischen Ermittler. Doch es kam nie zu einem Prozess, weil Russland die Auslieferung der Mordverdächtigen Lugowoi und Kowtun verweigert.
Polonium gehört zu den seltensten chemischen Elementen. Es ist in geringen Mengen in Uranerzen enthalten. In der Erdkruste kommt Polonium in Spuren vor. Es wurde in geringen Mengen auch in Tabakpflanzen gefunden, wobei der Gehalt je nach Standort sehr unterschiedlich ist. Künstlich wird Polonium in Kernreaktoren erzeugt.
Entdeckt wurde das Element mit der Ordnungszahl 84 im Jahre 1898 von Marie Curie und nach ihrer Heimat Polen (lateinisch Polonia) benannt.
Litwinenko, der Ex-Agent, war zu einem scharfen Kritiker Wladimir Putins geworden. Er hatte über Mordkomplotte des russischen Geheimdienstes berichtet, wurde in Moskau verhaftet und flüchtete schließlich ins Exil nach London. Von hier führte er seinen Feldzug gegen den russischen Präsidenten weiter. Auf einer Pressekonferenz behauptete er zum Beispiel, Putin sei auch für den Mord an der russischen Reporterin und Regime-Kritikerin Anna Politkowskaja verantwortlich.
"Gegen die Leute, die Russland regieren"
Für Marina Litwinenko spricht alles dafür, dass Putin hinter dem Polonium-Attentat auf ihren Mann steht. Sie sagt in dem Interview mit dem ARD-Studio London aber auch: "Ich bin nicht gegen Russland. Ich bin selber Russin, ich bin in Russland geboren. Aber ich bin gegen die Leute, die jetzt Russland regieren. Sie sind auch dafür verantwortlich, dass sich dieses großartige Land von der übrigen Welt isoliert."
Ab heute wird der Fall im Royal Court of Justice neu aufgerollt, weitgehend vor den Augen der Öffentlichkeit. In nicht-öffentlichen Sitzungen wird aber auch sensibles Geheimdienstmaterial geprüft - bislang unbekannte Informationen, zu denen auch Scotland Yard bisher keinen Zugang hatte.