Israel und die Hisbollah Die Gefahr eines offenen Krieges wächst
An Israels Grenze zum Libanon wird die Lage täglich gefährlicher: Immer wieder und immer heftiger attackieren sich Hisbollah-Miliz und israelisches Militär. Setzt sich diese Eskalation fort, befürchten Experten einen offenen Krieg.
Dass die Gewaltspirale mit jedem Tag schneller und immer schneller rotiert, demonstrieren Videos der Hisbollah-Miliz vom täglichen Schlagabtausch im libanesisch-israelischen Grenzgebiet. Milizionäre feuern ein Kornet-Geschoss auf eine israelische Militäranlage. Um zu verstehen, was da geschieht und welche Dynamik sich dieser Tage entfaltet, kommt man nicht um etwas Waffenkunde herum.
Die Kornet ist eine russische Panzerabwehrrakete, ein sogenannter Lenkflugkörper. Über einen Laserleitstrahl wird sie vom Schützen durch das Visier ins Ziel geführt. Es sollte nicht weiter als 3500 Meter entfernt sein. Geringe Reichweite, aber hohe Treffsicherheit: Deswegen hat die israelische Armee im Grenzgebiet eine vier Kilometer breite Sperrzone verhängt und schießt seit einigen Tagen auf so ziemlich alles, was sich dort bewegt - auch auf zivile Fahrzeuge wie Transporter, auch auf Privatautos. Denn es könnten ja Hisbollah-Milizionäre darin sitzen.
Zivilisten von israelischer Drohne getötet
Der Mann heißt Samir Ayoub. Als ihn das libanesische Fernsehen interviewte, war sein Hemd noch voller Blut. Vergangenen Sonntag wollte er seine Nichten, 10, 12 und 14 Jahre alt - nach Beirut in Sicherheit bringen. Sie lebten in einem Dorf innerhalb der Sperrzone. Ajoub fuhr mit seinem Wagen voraus, die Mädchen folgten ihm mit ihrer Großmutter in einem zweiten Wagen. Zwischen den Dörfern Ainata und Aitaroun wurden sie von einer israelischen Drohne getötet.
"Die Kinder verbrannten", sagt Ajoub, "ich konnte sie nicht retten. Ich zog ihre schwer verletzte Großmutter heraus, und sie schrie immer nur: 'Wo sind die Kinder?'"
Gegenseitige Angriffe von Hisbollah und Israel
Die israelische Armee erklärte kurze Zeit später, sie beschieße im Kampf gegen Terroristen auch Fahrzeuge. Der Vorfall werde aber untersucht. Die mit der Hisbollah verbündeten Qassam-Miliz feuerte zur Vergeltung tags darauf 30 Raketen auf Israel - angeblich mit dem Ziel, die Küstenstadt Nabatieh zu treffen und Haifa tief im israelischen Kernland. Ein paar Stunden später, in der Nacht zum Mittwoch, flog dann die israelische Luftwaffe zwei Angriffe auf Aaramta, eine Kleinstadt im libanesischen Kernland.
Womit wird die Hisbollah nun antworten? Sie hat tausende weitreichende Lenkraketen in ihren Silos. Genau das ist die Eskalationsspirale, die Heiko Wimmen von der International Crisis Group solche Sorgen bereitet: "Wenn man diese Raketen erst einmal geschossen hat, wenn der offene Krieg erst einmal da ist, dann hat Israel natürlich keinerlei Motivation mehr, auch noch irgendeine Zurückhaltung zu üben."