Nach Flüchtlingsansturm auf Lampedusa Frontex startet Mission "Hermes 2011"
Auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa nehmen heute Mitarbeiter der Grenzschutzagentur Frontex die Arbeit auf. Zunächst werden rund 50 Spezialisten erwartet, die Bootsflüchtlinge aus Tunesien identifizieren und befragen. Doch das Vorgehen von Frontex ist umstritten.
Von Stefan Troendle, ARD-Hörfunkstudio Rom
Noch heute sollen die ersten Frontex-Mitarbeiter auf Lampedusa eintreffen. Nach Angaben der Grenzschutzagentur werden weitere Flugzeuge und Marineeinheiten aus Malta und Italien auf die Insel vor Sizilien verlegt. Anfang kommender Woche sollen dann weitere Frontex-Mitarbeiter auf Lampedusa eintreffen.
Bei den ersten Frontex-Vertretern handelt es sich um "Screener" und "Debriefer": Das sind Mitarbeiter aus verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten, die die Bootsflüchtlinge auf Lampedusa identifizieren und befragen sollen - unter anderem über die Transportwege. Derartige Spezialisten stammen meist aus dem Grenzschutz der am Einsatz beteiligten Länder. Vermutlich dürfte für diesen Einsatz vor allem französischsprachiges Personal ausgewählt worden sein, da die auf Lampedusa angekommenen Tunesier überwiegend französische Sprachkenntnisse haben.
Zunächst etwa 50 Experten im Einsatz
Die Operation wird nicht von Frontex-eigenem Personal durchgeführt: Die Agentur gibt es erst seit knapp sechs Jahren und hat nur etwa 270 Mitarbeiter. Bei jeder Mission stellen EU-Mitgliedsstaaten freiwillig Personal und Ausrüstung zur Verfügung, das dann von Frontex koordiniert wird. Die Mission erfolgt unter dem Oberkommando des Landes, in dem sie stattfindet - in diesem Fall Italien.
Man könne aber noch nicht genau sagen, um wie viele Mitarbeiter es sich handle, heißt es bei Frontex. Bisher war von etwa 50 Experten die Rede. Nach Informationen des Bürgermeisters der Insel dürften sie ihr Hauptquartier vermutlich bei der Guardia di Finanza von Lampedusa, der Finanzpolizei, beziehen und mit dieser eng zusammenarbeiten.
Wegen des Ansturms auf die Insel Lampedusa soll nun die Mission "Hermes" anlaufen.
Die Finanzpolizei - auch zuständig für den Grenzschutz - hat auf Lampedusa einige Schnellboote stationiert. Ein wichtiger Teil der Operation sei übrigens auch die Hilfe bei der Rückführung der Bootsflüchtlinge in ihre Herkunftsländer, wie Frontex bekanntgab. Das ist die erste offizielle Bestätigung dafür, dass offenbar die meisten Bootsflüchtlinge demnächst nach Tunesien zurückgeschickt werden sollen - koordiniert durch Frontex. Auch deshalb ist die Einrichtung eine der umstrittensten in der EU.
Kritik am Vorgehen von Frontex
Flüchtlingsorganisationen werfen Frontex immer wieder vor, gegen das Seerecht und die Genfer Flüchtlingskonvention zu verstoßen - unter anderem weil Bootsflüchtlinge abgewiesen werden, ohne die Möglichkeit zu erhalten, einen Asylantrag zu stellen. Die Grenzschutzagentur behauptet zwar, dass Flüchtlinge nicht zur Umkehr gezwungen würden. Da aber an Bord von Schiffen zum Beispiel die Standards der einzelnen EU-Länder gelten, dürfte die Realität teilweise anders aussehen. Massive Kritik gibt es deshalb auch am aktuellen Frontex-Einsatz in Griechenland.
Unabhängig davon halten Polizei-Experten Frontex nicht für effektiv genug: Unter anderem die deutsche Polizeigewerkschaft forderte deshalb, Frontex zu einer 2500 Mann starken EU-Küstenwache mit eigenen Schiffen auszubauen, die rund um die Uhr im Mittelmeer patrouilliert.
Einsatz von Wärmebildkameras ungewiss
Grundlage für den aktuellen Einsatz ist eine formelle Anfrage der italienischen Regierung. Welche Länder sich außer Italien und Malta daran beteiligen werden, ist noch nicht bekannt. Unbekannt ist ebenfalls, ob Einheiten anderer Staaten mit Booten, Hubschraubern oder Flugzeugen, ausgerüstet mit Wärmebildkameras und speziellen Radargeräten, nach Lampedusa geschickt werden. Die Teams werden gerade zusammengestellt.
Am Freitag haben Vertreter der Agentur mit dem italienischen Innenministerium in Rom die Rahmenbedingungen ausgearbeitet. Fest steht aber bereits der Name der Frontex-Mission: "Hermes 2011" - möglicherweise eine Anspielung auf die " hermetische" Abriegelung der EU-Außengrenzen. Für frühere Missionen im Mittelmeer zwischen Nordafrika und Italien oder Malta hatte Frontex einen weniger martialischen Namen gewählt. Diese liefen unter der Bezeichnung "Nautilus" - zu Deutsch: Segler.