Kroatien vor der Wahl zum EU-Parlament Ein Urnengang, der zu früh kommt?
Bereits vor seinem EU-Beitritt im Sommer bestimmt Kroatien heute seine Vertreter im EU-Parlament. Gewählt werden zwölf Abgeordnete. Ihr Mandat gilt allerdings nicht eine ganze fünfjährige Legislaturperiode lang, sondern nur zwölf Monate, da das Europaparlament 2014 vollständig neu gewählt wird.
Von Ralf Borchard, ARD-Hörfunkstudio Wien
Auf dem Markusplatz, vor dem Regierungssitz in Zagreb, weht die europäische Flagge schon, doch in den Cafés und auf den Straßen sind die Meinungen geteilt. "Ich bin sehr froh, dass wir der EU beitreten", sagt eine Studentin. "Es ist das beste, was Kroatien tun kann. Ich freue mich schon sehr auf das leichtere Reisen und all die anderen Möglichkeiten, die mir die Europäische Union bietet."
"Also ich finde es nicht gut", so ein Kriegsveteran. "Ich bin gegen den kroatischen EU-Beitritt, weil es in der EU die großen und die kleinen gibt. Die großen Länder herrschen und Kroatien wird ein Knecht sein. Es ging immer vor allem um Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Mir scheint, Deutschland hat es jetzt geschafft, die Oberhand zu gewinnen. Und Frau Merkel versteht das sehr gut zu nutzen."
Zu früh für Europa?
"Ich denke, wir können nicht ohne Europa existieren, aber ich bin nicht sicher, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist - mit der Wirtschaftskrise in ganz Europa und all den Dingen, die sich in Kroatien so rasend schnell ändern", sagt eine Frau. "Ich bin prinzipiell für die EU, nur nicht sicher, ob es jetzt richtig ist, mit hineinzugehen."
So groß das Spektrum der kroatischen Meinungen ist, so gering ist das Interesse an der Wahl der EU-Abgeordneten. Keinerlei Wahlplakate, kaum anderes Engagement von Regierungs- oder Oppositionsseite, und in den Medien wird - wenn überhaupt - vor allem kritisiert, wie viel die zwölf künftigen EU-Parlamentarier verdienen.
Nur wenig Vertrauen in die Politiker
8000 Euro, das scheint eine astronomisch hohe Summe gegenüber dem kroatischen Durchschnittsverdienst von rund 700 Euro netto. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Sandra Svaljek sagt: "Der Durchschnittsbürger ist übersättigt von allem was passiert, er ist politikmüde, die Leute vertrauen der Politik insgesamt nicht mehr, und in der Wirtschaftskrise kämpfen sie vor allem um das persönliche Überleben, die Arbeitslosenrate liegt bei 20 Prozent in Kroatien, inoffiziell deutlich höher. Und es gibt ein Informationsproblem. Die Leute sind schlecht informiert, was der EU-Beitritt für sie persönlich bedeutet."
Die großen kroatischen Parteien haben nur Kandidaten aus der zweiten oder dritten Reihe für die Europawahl benannt. Einer der auffälligsten ist noch Damir Hrsak von der kleinen Arbeitspartei, Universitätsdozent und der erste Politiker im katholischen Kroatien, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt.
Kaum Zeit und Geld für Wahlkampf
Als seine Hauptziele nennt Hrsak mehr Bürgerrechte, bessere Bildungschancen und den Tierschutz: ""Es gibt sehr verschiedene Umfragen, wie hoch die Wahlbeteiligung sein wird. Manche sprechen sehr optimistisch von 65 Prozent, andere pessimistischer, und wahrscheinlich realistischer von nur gut 20 Prozent. Ein Grund ist, dass die Europawahlen sehr kurzfristig angesetzt wurden. Im Mai folgen schon die Kommunalwahlen, auf die sich die großen Parteien konzentrieren. Und wir kleineren Parteien haben einfach kein Geld, um einen Europawahlkampf zu machen."
Die zwölf kroatischen Abgeordneten, die jetzt gewählt werden, sitzen zunächst nur für ein knappes Jahr im EU-Parlament, im Frühjahr 2014 sind in der gesamten EU reguläre Wahlen. Doch Hrsak glaubt, wenn er es jetzt schafft, schafft er es 2014 erneut. Ist Kroatien überhaupt reif für den Beitritt?
"Wenn man Kroatien in Punkten wie Demokratisierung, Menschenrechte und Wirtschaftskraft mit Ländern wie Bulgarien und Rumänien vergleicht, die schon in der EU sind, hätten wir sogar schon früher der EU beitreten können. Und Kroatien hat der EU auch etwas zu bieten. Nicht nur die fantastische Küste und die Berge. Kroatien kann auch Vorbild sein, für andere Länder in Südosteuropa, die ebenfalls in die EU wollen, und jetzt sehen, Reformen lohnen sich, Kroatien hat es geschafft. Wir können ein gutes Beispiel für unsere Nachbarländer sein."