Kroatische Inseln Wenn der Arzt mit der Fähre kommt
Kroatien fehlt es an Ärztinnen und Ärzten. In der Hoffnung auf bessere Arbeitsbedingungen verlassen viele das Land. Ein Mangel, der vor allem für die Inselbewohner dramatische Konsequenzen hat.
Dr. Ivan Stegic ist Ende 30, groß, schlank und in Eile, als er die Fähre im Hafen von Sibenik besteigt. Wenn der Landarzt seine Patientinnen und Patienten im Inselarchipel besuchen will, muss er eine weite Strecke zurücklegen.
Meist wartet viel Arbeit auf ihn und schon während der Fahrt klingelt dauernd sein Handy. An diesem Tag wartet ein besonders schwerer Notfall auf ihn.
Ein Arzt, zumindest für den Sommer
Nach 50 Minuten Fahrt drosselt das Schiff seine Motoren, um in den kleinen Hafen von Kaprije einzulaufen. Steinhäuschen mit bunten Fensterläden drängen sich an einen Hang, Fischerboote schaukeln im glasklaren Wasser. Eine Idylle, für die der Arzt heute keinen Blick hat.
Schnellen Schrittes läuft er durch kleine Gassen zu seiner Praxis, in der bereits Patienten wie die 77-Jährige Rosanda Karadjole auf ihn warten. Die Beine ihres Mannes seien völlig kaputt und entzündet, er könne nicht mehr selbst kommen, brauche aber dringend Hilfe. "Das größte Problem ist, dass sie auf den Inseln oft keinen eigenen Arzt haben", erklärt Stegic. "Und wenn es einen gibt, kommt der nur jede zweite Woche".
In Kroatien gibt es mehr als 1.000 Inseln, nur auf wenigen großen gibt es entsprechend einen eigenen Arzt oder eine eigene Ärztin. Die kleineren Inseln haben niemanden, manche nur eine Krankenschwester.
Auf Kaprij lebten etwa 100 Menschen, mit den Touristen im seien es etwa 2.000, so Stegic. Aus der Sicht des Arztes sollten sie "zumindest im Sommer dort rund um die Uhr einen Arzt haben.“
Deutlich höherer Verdienst im EU-Ausland
Der Ärztemangel in Kroatien ist unter anderem deshalb so gravierend, weil viele Ärzte kurz vor der Rente stehen oder ins Ausland abwandern. Allein im ersten Halbjahr 2023 haben wieder 91 Ärzte Kroatien verlassen.
Laut Stegic geschieht das auch aufgrund des deutlich höheren Verdienstes seiner Kollegen in anderen EU-Ländern. Mit einem monatlichen Gehalt von 1700 Euro netto kommen er und seine Familie im Kroatien gerade so über die Runden.
Weder Rechner noch Internetanschluss
Wie wenig Geld im Gesundheitssystem steckt, wird auch klar, als Stegic mit einer Patientin Befunde durchgehen will. Zusammen mit der älteren Dame muss er sich über ihr Handy beugen, denn in seiner Ambulanz gibt es weder einen Rechner, noch einen Internetanschluss. Die Zustände erinnerten sie an die Steinzeit, moniert die Patientin.
Wenn ein Notfall passiert, wird ein Polizeiboot gerufen, bis zu dessen Eintreffen allerdings mehrere Stunden vergehen können. "Tja, was machst du da?", beklagt eine der Inselbewohnerinnen.
"Wenn du kein Glück hast, dann ist es aus. Es gibt kein Geld für einen Hubschrauber." An den Bewohnern der Inseln werde gespart.
Dramatische Folgen
Nachdem Dr. Stegic seine Patienten in der Ambulanz behandelt hat, beeilt er sich, zu seinem Hausbesuch zu kommen. Er findet einen schwer kranken Mann vor, dessen Beine sich so stark infiziert haben, dass ihm Stegic nur noch eine Amputation nahe legen kann.
Der erfahrene Arzt wirkt selbst beunruhigt, als er dem Patienten die schlechte Nachricht überbringt. Er solle sofort das nächste Boot zum Festland nehmen, denn er müsse dringend ins Krankenhaus, sonst sterbe er an einer Blutvergiftung.
Die Familie fühlt sich mit dem schwer kranken Mann überfordert, bräuchte den Arzt eigentlich als Ansprechpartner in der Nähe. Doch das kann das medizinische System Kroatiens nicht leisten.
Schon gibt es erste Kommunen, die Prämien für Landärzte zahlen wollen, um die drohende Krise im Medizinsystem aufzuhalten.
Ob er seinen Patienten das nächste Mal noch lebend sieht, weiß Dr. Stegic nicht. Nach Kaprije kommt er erst wieder in zwei Wochen. Auf der kleinen Insel hoffen sie, dass ihnen Dr. Stegic möglichst lang erhalten bleibt. Sein Vorgänger hat nach einem Monat das Handtuch geworfen.
Diese und weitere Reportagen sehen Sie am Sonntag, 3.09.2023 um 12:45 Uhr im "Europamagazin".