Erinnerungen 70 Jahre nach Kriegsbeginn "Niemand starb als Held"
Sein Pflichtdienst war beinahe beendet. Doch dann überfiel Hitler-Deutschland am 1. September 1939 Polen und Kurt Finke, damals 24 Jahre alt, blieb Soldat. Sein Weg führte ihn über Stalingrad und Sizilien nach Südtirol - die Hoffnung auf Frieden blieb.
Von Oliver Feldforth, HR Frankfurt
"Als ich die ersten Schwerverwundeten gesehen habe, wie sie neben der Straße mit zerschossenen Gesichtern lagen, da bin ich regelrecht ohnmächtig geworden", sagt Kurt Finke. "Und manche Kameraden haben mich dafür ausgelacht." Der 94-Jährige sitzt ein wenig zusammengesunken im Rollstuhl in seinem Haus im hessischen Korbach, die Erinnerungen zeichnen sich in seinem Gesicht ab.
Ein Monat noch: Im Oktober 1939 wäre sein militärischer Pflichtdienst zu Ende gewesen. Dann kam der Überfall auf Polen und der 24-Jährige musste Soldat bleiben. Bis zum bitteren Ende im Mai 1945 kämpfte er für Hitlers Armee.
Kein Spaziergang
Dabei war kein Soldat in seiner Kompanie begeistert, als der Krieg begann und die Infanteristen in Polen einmarschierten. Er habe große Sorgen gehabt, da wieder lebend herauszukommen, erzählt Kurt Finke. Auch seine Mutter sei völlig aufgelöst gewesen.
Der Krieg in Polen sei kein Spaziergang gewesen. Die gegnerischen Soldaten hätten tapfer gekämpft. Dann stockt Kurt Finke und ergänzt zögernd: "Noch heute höre ich die Schreie der anstürmenden Soldaten." Sie hätten letztlich keine Chance gehabt, zu groß war auch die technische Überlegenheit der Wehrmacht.
Als das motorisierte Infanterieregiment nach dem Sieg über Polen in seine Kaserne zurückkehrte, waren viele Plätze auf den Lkw leer. Jeder fünfte seiner Kameraden war verletzt oder getötet worden, so Finke.
Immer wieder Hoffen auf Frieden
Im nächsten Jahr kämpfte Finke sich mit seiner Kompanie durch Belgien nach Frankreich. Wieder hoffte er, dass jetzt der Frieden kommen möge und wieder wurde er enttäuscht. 1941 marschierte der Infanterist in Russland ein. Am Anfang lief es für die Soldaten wie im Lehrbuch. Da sie motorisiert waren, waren sie oft so schnell, dass der Nachschub nicht nachkam.
Kurt Finke hatte von seinem Kompaniechef eine Normal-Acht-Filmkamera in die Hand gedrückt bekommen. Er würde doch so gute Fotos machen, also könne er doch auch filmen. Und so drehte Finke seine Einheit auf dem Vormarsch durch die heiße Steppe Russlands, aber auch Bilder von Birkenkreuzen auf improvisierten Friedhöfen. Immer mehr Kameraden blieben dort tot zurück.
Erst Granatsplitter, dann Gelbsucht
Er war auch beim deutschen Sturm auf Stalingrad dabei. Vor der Stadt kämpfte sich seine Kompanie ohne jede Deckung nach vorne. Alle paar Meter hinwerfen, mit dem Klappspaten ein wenig eingraben und weiter. Und hier treffen Granatsplitter Kurt Finke. Er merkt, dass er überall blutet und ist dennoch erleichtert, dass alle Gliedmaßen noch dran sind und seine Augen noch funktionieren.
Im Lazarett steckt der Schwerverletzte sich mit Gelbsucht an und magert auf unter 50 Kilogramm ab. "Auch wenn es komisch klingt - das hat mir letztlich das Leben gerettet", sagt Finke, denn er wird aus dem Stalingrader Kessel ausgeflogen. Sein erster Flug. Die Maschine, die kurz vorher ebenfalls mit Verletzten abhebt, wird vor seinen Augen abgeschossen. Er überlebt und kommt nach Österreich ins Lazarett. Von seiner Kompanie überleben nur wenige Soldaten.
Stalingrad - Sizilien - Südtirol
Nachdem seine Verletzungen geheilt waren, muss Finke zurück zur Wehrmacht. Seine Einheit wird mit jungen Rekruten neu aufgestellt und nach Sizilien versetzt. Dort waren gerade die Alliierten gelandet. Er muss noch bis zum Mai 1945 weiterkämpfen. Dann nehmen ihn die Amerikaner in Südtirol gefangen. Der Krieg ist für Kurt Finke endlich vorbei.
Jetzt habe er die verlorene Zeit aufholen wollen, "die Ärmel aufkrempeln und los", erzählt er. Er kehrt nicht in seine zerstörte Heimatstadt Berlin zurück, sondern wird Lehrer im nordhessischen Korbach - für Deutsch und Geschichte. So kann er den Schülern vom Dritten Reich erzählen. Nie wieder solle sich diese Zeit wiederholen.
Kurt Finke war 1939 Wehrmachtssoldat.
"Es war eine grausame Zeit"
"Es war eine grausame Zeit", meint Finke, "der glorreiche Soldatentod im Feld eine Propagandalüge." Sein Gesicht verfinstert sich, als ergänzt: "Ich habe keinen meiner Kameraden als Helden sterben sehen, keinen."
Auf der Terrasse, neben seiner Frau sitzend, sagt er noch zum Abschied, er habe doch noch Glück gehabt und überlebt. Der Krieg habe ihm zwar seine Jugend gestohlen, aber ihm sei die Gnade eines langen Lebens mit seiner Frau vergönnt.