Suche nach der Lösung Wie ist der Kaukasus zu retten?
Während US-Außenministerin Rice in Georgien Präsident Saakaschwili überzeugen will, den von Frankreich vermittelten Friedensvertrag mit Russland zu unterzeichnen, bemüht sich Bundeskanzlerin Merkel in Russland um ein Ende der Krise in Georgien. Fraglich ist, ob sie im Gespräch mit Präsident Medwedjew die entscheidende Frage klären kann, wie viel Kontrolle Russland in Georgien künftig ausüben wird. Das vereinbarte Friedensabkommen lässt Moskau offenbar mehr Spielraum für militärische Handlungen in Georgien als zunächst erwartet.
Von Silvia Stöber, tagesschau.de
Seit Dienstag gilt der Waffenstillstand zwischen Russland und Georgien. Doch im Südkaukasus kehrt keine Ruhe ein. Berichte über weitere Aktionen der russischen Truppen beunruhigen die Menschen. Georgiens Führung hat dem nichts entgegenzusetzen als Hoffnung auf Hilfe aus dem Westen.
Für Europa und die USA geht es nicht nur darum, das Leid der Menschen zu beenden. Es geht um eine angemessene Antwort an Russland, das Soldaten in einen souveränen, nach Westen orientierten Staat im postsowjetischen Raum einmarschieren ließ und damit das geostrategische Gefüge ins Wanken gebracht hat. Und es geht um die Sicherung des Transitkorridors für Öl und Gas nach dem Westen.
Ist die Ukraine als nächstes dran?
Auch wenn die EU-Länder jeweils ein anderes Verhältnis zu Russland haben, so muss Europa doch eine gemeinsame Stimme finden, um ein Gegengewicht zum wieder erstarkten Nachbarn im Osten zu finden. Nicht nur in der Bewertung der Ereignisse der vergangenen Tage gab es Unterschiede. Die osteuropäischen EU-Länder fahren auch einen schärferen Kurs hinsichtlich der Maßnahmen, weil sie sich nicht sicher wähnen vor Russland. So warnte der polnische Präsident Lech Kaczynski: "Wenn die Welt Georgien allein lässt, ist die Ukraine als Nächstes dran." Das Argument der Russen für den Einmarsch in Georgien, russische Bürger schützen zu wollen, könnte schließlich auch auf die Ukraine und die baltischen Staaten zutreffen.
Löchriges Friedensabkommen?
Zunächst einmal geht es in dem Gespräch zwischen Merkel und Medwedjew heute um die Auslegung des Friedensabkommens, das Russland und Georgien unter Vermittlung des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy vereinbart haben. Die festgelegten Grundlinien sind so offenbar weit gefasst, dass Russland seine noch immer andauernden militärischen Maßnahmen in Georgien legitimiert sieht. In Punkt fünf heißt es: "Die russischen Sicherheitskräfte sollen zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, bis ein internationaler Mechanismus vereinbart ist." Die "New York Times" berichtet, dass Präsident Medwedjew besonders auf diesem Satz bestanden habe und auch keine zeitliche Begrenzung zulassen wollte.
Der deutsche Diplomat Dieter Boden, ehemals UN-Vermittler und Leiter der OSZE-Mission in Georgien, sagt zu dem Friedensabkommen, dass bisher nur vage Eckpunkte bekannt seien. Man müsse sich nun um das Kleingedruckte kümmern, zum Beispiel darum, was mit dem Zurückrücken auf die Ausgangsposition der Truppen genau gemeint sei. Notwendig seien sehr saubere, klare und präzise Vereinbarungen, um Ruhe in Georgien herzustellen.
Gräueltaten beider Seiten aufklären
Oliver Wolleh von der Berghof-Stiftung für Konfliktforschung fordert als nächsten Schritt den Einsatz einer unabhängigen Kommission, die humanitäre Verletzungen beider Seiten prüft. "Beide Seiten, Georgier und Russen, haben überproportional Gewalt angewendet. Das muss juristisch aufgearbeitet werden", so Wolleh.
Ohne Russland wird es nicht gehen
Mittel- und langfristig sei eine starke Friedenstruppe notwendig, in die die Konfliktparteien Georgiens einbezogen würden, meint Wolleh. Realistischerweise lasse sich dies nicht ohne die Russen organisieren. Deshalb müsse die Friedenstruppe von einer starken Beobachter-Mission flankiert werden, die die Missachtung der Regeln unvoreingenommen zur Sprache bringe. Eine wichtige Rolle spiele bei solchen Missionen, wer die Vergabe von Geldern kontrolliere. Die Klärung der Status-Frage solle erst ganz am Schluss stehen, fordert Wolleh – anders als die russische Seite, die dies möglichst bald geregelt sehen will.
Ärger über russische Peacekeeper
Auch in Georgien ist die Skepsis groß, die russischen Truppen mit Hilfe des Westens loswerden zu können.
Entsprechend groß ist der Frust: Zwar engagierten sich die USA sehr für Georgien, doch ohne die Hilfe der EU könnten sie nicht viel ausrichten, beklagt Alexander Rondeli. Er ist einer der bekanntesten Politikwissenschaftler in Georgien und Präsident der Georgischen Stiftung für Internationale und Strategische Studien. Die EU lobe die seit Anfang der neunziger Jahre in Georgien stationierten Friedenstruppen, kritisiert Rondeli. Viele Georgier machen vor allem diese Truppen für die Eskalation des Konflikts verantwortlich. Entsprechend drastisch fällt Rondelis Urteil aus: "Europa wird nicht aufhören, den russischen Militärstiefel an Georgiens Nacken zu polieren."
Moskau treibt Georgier in Saakaschwilis Arme
Die Provokationen Südossetiens und Abchasiens einerseits und das harte Eingreifen der russischen Truppen andererseits sind für viele Georgier Grund genug, das Handeln ihres Präsidenten Saakaschwili zu rechtfertigen. Die Forderungen der russischen Führung nach einem "Regimewechsel" bestärken sie noch darin. Entsprechend wächst der Unmut, seitdem in Tiflis Gerüchte kursieren, die russischen Truppen würden erst nach einem Rücktritt Saakaschwilis Ruhe geben. Es gebe auch schon eine Liste mit Namen von Moskau-treuen Politikern, die an seiner statt eingesetzt werden könnten, wird kolportiert.
Der Druck Russlands versperrt den Blick der Georgier auf die politischen Fehler der Regierung. Dabei würde die Aufarbeitung der Ereignisse zu den wichtigsten Maßnahmen gehören, um eine neue Eskalation im Konflikt um die abtrünnigen Gebiete zu verhindern, sagt Iris Kempe von der Friedrich-Böll-Stiftung. Sie leitet das Kaukasus-Büro der Organisation in Tiflis. Es müsse sich nun zeigen, ob die Gesellschaft reif dafür sei. Auch den Georgiern müsse klar werden, dass "Saakaschwili mit Streichhölzern auf einem Ölfeld gespielt hat". Der Westen könne dabei helfen, indem demokratischen Gegenkräften in Georgien weiter geholfen werde, sich zu etablieren.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass Saakaschwili schon bald an Rückhalt verliert, wenn sich die Lage für die Menschen nicht verbessert. Seine Handlungsfähigkeit ist mit der Besetzung durch die russischen Truppen erheblich eingeschränkt. Wenig wahrscheinlich ist aber, dass die Georgier einen pro-russischen Präsidenten akzeptieren würden. Dafür sind das von den Russen zugefügte Leid und der Stolz über die Unabhängigkeit zu groß. Auch wenn viele Georgier enttäuscht sind über das Verhalten des Westens, so sehen sie doch in der NATO und der EU am ehesten einen Partner, sich von Russland zu emanzipieren.