Kasachstan nach Protesten Woher kam die Gewalt?
Mehr als 160 Menschen sind bei den schweren Unruhen in Kasachstan laut offiziellen Angaben ums Leben gekommen. Tausende wurden verletzt. Wie konnten die Proteste so eskalieren? Und woher kamen die vielen Waffen?
Mehr als 100 Menschen sollen allein in der Metropole Almaty ums Leben gekommen sein. Hier hatte es über Tage schwere Ausschreitungen gegeben. Verwaltungsgebäude wurden in Brand gesetzt, Geschäfte geplündert, Autos angezündet.
Immer wieder, so berichteten Augenzeugen, habe es Schusswechsel und Explosionen gegeben. Doch inzwischen habe sich die Lage beruhigt, erzählt Aidana am Abend per Videoschalte: "Die Hälfte der großen Supermärkte hat wieder geöffnet. In meinem Bezirk gehen die Leute auch wieder raus. Die Bankautomaten funktionieren. Heute wurde der Müll abgeholt. Die Busse sollen ab morgen oder übermorgen wieder fahren. Langsam normalisiert es sich."
"Das waren nicht dieselben Leute"
Wie so viele in Almaty fragt auch Aidana sich, wie aus den friedlichen Demonstrationen, die sie am Anfang noch selbst miterlebt hat, so blutige Ausschreitungen werden konnten: "Die Leute, die auf dem Platz protestiert haben und die Plünderer, das waren nicht dieselben Leute." Dessen ist sich die junge Frau sicher.
Wer aber die Plünderer, die Bewaffneten waren, woher sie kamen, das weiß auch sie nicht. Es sei schwer, sich ein Bild zu machen, sagt sie. Es seien viel zu viele Falschmeldungen im Umlauf.
Die Regierung versucht unterdessen, das Ausmaß der Schäden in Zahlen zu ermessen. Nach Angaben des designierten Innenministers Jerlan Turgunbajew wurden landesweit über 400 Fahrzeuge, darunter viele Einsatzwagen, zerstört.
"Die Plünderer haben über 100 große Handelseinrichtungen und Banken ausgeraubt. Nach vorläufigen Schätzungen beträgt der Schaden 87 Milliarden Tenge", so Turgunbajew. Umgerechnet sind allein das knapp 177 Millionen Euro.
Inzwischen fast 6000 Festnahmen
Das Gesundheitsministerium meldet landesweit mehr als 2200 Verletzte. Rund 700 von ihnen würden derzeit noch in Krankenhäusern behandelt. Auch die Zahl der Festnahmen wurde noch einmal nach oben korrigiert. Das Innenministerium spricht inzwischen von knapp 6000. Unter den Inhaftierten befinden sich auch hochrangige Beamte wie der ehemalige Geheimdienstchef, Karim Massimow. Dem langjährigen Vertrauten des früheren Präsidenten Nasarbajew wird Hochverrat vorgeworfen.
Da auch andere loyale Gefolgsleute Nasarbajews aus Schlüsselpositionen des Machtapparates entfernt wurden, gibt es weiter viele Spekulationen über einen internen Machtkampf zwischen den Eliten. Präsident Tokajew hat bereits weitere personelle Veränderungen angekündigt.
Heute soll der Opfer gedacht werden
Heute will er die Staats- und Regierungschefs des Militärbündnisses OVKS in einer Videokonferenz über die Lage im Land informieren. Ob dabei auch ein Datum für das Ende der Mission der zur Hilfe gerufenen OVKS-Truppen im Land gesprochen wird, ist offen.
Der stellvertretende Verteidigungsminister Sultan Gamaletdinow hatte bereits gestern von einer Normalisierung des Situation gesprochen: "Die Lage auf dem Territorium der Republik Kasachstan stabilisiert sich. Sie ist unter staatlicher Kontrolle." Heute soll im ganzen Land der Opfer der Unruhen gedacht werden. Präsident Tokajew hat Staatstrauer angeordnet.