Nach der Verhaftung Radovan Karadzics Quantensprung in den Beziehungen zur EU?
In Europa, in den USA und bei der UNO ist die Nachricht von der Verhaftung Karadzics mit großer Befriedigung und Erleichterung aufgenommen worden. Sicher wird sie heute auch auf dem Treffen der EU-Außenminister eine Rolle spielen - schließlich hat Brüssel stets Beitrittsgespräche mit Serbien an die Verhaftung der Kriegsverbrecher geknüpft.
Von Michael Becker, ARD-Hörfunkstudio Brüssel
Die Nachricht aus Belgrad dürfte die Tagesordnung der EU-Außenminister heute in Brüssel vollständig umkrempeln: Seit Jahren wartet die EU auf die Auslieferung von Radovan Karadzic an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag.
Immer wieder hatte Brüssel Druck auf Belgrad und den Serben klar gemacht, dass die Tür zur EU zwar offen steht - aber nur wenn alle mutmaßlichen Kriegsverbrecher aus der Zeit der Balkankriege an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert sind. Vor allem war die EU interessiert an Karadzic und seinem Ex-General Ratko Mladic, der immer noch gesucht wird.
Quantensprung in den Beziehungen zur EU
Insofern dürfte die Auslieferung von Karadzic ein Quantensprung in den Beziehungen zwischen Serbien und der EU bedeuten. EU-Chefdiplomat Javier Solana erklärte bereits in der Nacht, er habe die Verhaftung mit "enormer Befriedigung" registriert. Die neue Regierung in Serbien stehe für ein neues Serbien. Die französische EU-Präsidentschaft erklärte in einer ersten Reaktion, die Gefangennahme Karadzics sei eine "wichtige Etappe" auf dem Weg der Annäherung Serbiens an die EU.
Obwohl Karadzic und Mladic noch nicht ausgeliefert waren, hatte die EU Anfang April mit Serbien ein Abkommen für eine vertiefte Zusammenarbeit unterzeichnet - die Voraussetzung dafür, dass Serbien in der Zukunft der EU beitreten kann. Brüssel war dabei quasi über den eigenen Schatten gesprungen, um mit dem Abkommen die EU-freundlichen Kräfte bei den Wahlen in Serbien zu stärken.
Um nicht unglaubwürdig zu werden, hatte Brüssel allerdings darauf bestanden, dass das Abkommen nicht in Kraft gesetzt wird, solange Karadzic und Mladic noch nicht ausgeliefert sind. Nun ist zumindest Karadzic gefangen genommen worden - nur zwei Wochen nachdem die neue Regierung in Serbien ihre Arbeit aufgenommen hat.
Ein "Meilenstein"
Der Chefankläger am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, Serge Brammertz, gratulierte den serbischen Behörden und nannte die Festnahme einen "Meilenstein" und einen wichtigen Tag für die Opfer der Verbrechen während des Bosnienkrieges.
"Das ist ein wichtiger Tag für die Opfer, die seit über einem Jahrzehnt auf diese Festnahme gewartet haben. Es ist auch ein wichtiger Tag für die internationale Justiz, da dies klar vor Augen führt, dass niemand außerhalb des Gesetzes steht und dass alle Flüchtigen früher oder später der Justiz überstellt werden."
Die EU hatte allen Ländern des ehemaligen Jugoslawien eine EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt - um auf diese Weise sicher zu stellen, dass der Balkan sich friedlich und stabil entwickelt. Die besten Chancen auf einen baldigen EU-Beitritt hat zwar Kroatien. Ein Beitritt Serbiens ist aus EU-Sicht aber deshalb wichtig, weil Serbien eine Schlüsselrolle auf dem Balkan einnimmt.