Juncker zur Lage der EU "Es brennt an allen Ecken und Enden"
Mit deutlichen Worten hat EU-Kommissionschef Juncker die Lage der EU skizziert: Im ZDF sprach er von einer "Polykrise" - an allen Ecken und Enden brenne es. Sanktionen gegen Russland wegen dessen Kampf in Syrien lehnte er ab. Dies würde Moskau nicht beeindrucken.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sieht die Europäische Union zeitgleich mit mehreren Schwierigkeiten konfrontiert. "Diesmal haben wir es mit einer Polykrise zu tun. Es brennt an allen Ecken und Enden - nicht nur an europäischen Ecken und Enden. Aber dort, wo es außerhalb Europas brennt, verlängert sich die Feuersbrunst nach Europa", sagte er in der ZDF-Sendung "Was nun, Herr Juncker?".
Einen Anfang vom Ende der EU sehe er aber nicht, sagte Juncker. Doch zeigte er Verständnis für den Unmut einiger Bürger. Die EU habe sich zwangsläufig von den Menschen entfernt, es gebe Gräben - genauso wie dies in den Einzelstaaten auch der Fall sei. Er habe versucht, dies von Brüssel aus zu korrigieren. Die EU-Kommission kümmere sich nun vorwiegend um die großen Probleme und wolle sich nicht "im täglichen Kleinklein" verlieren.
Sanktionen gegen Moskau wegen des russischen Vorgehens in Syrien lehnt Juncker ab. "Das wird Russland nicht beeindrucken", sagte er. Derartige Forderungen zeugten von "Naivität". Europa könne letztlich nur versuchen, "mit den Mitteln der Diplomatie Einfluss zu nehmen".
"Hätten wir Soldaten schicken sollen?"
Juncker wandte sich gegen Kritik, dass Europa im Syrien-Konflikt nicht genug getan habe. "Hätten wir Soldaten hinschicken sollen?", fragte er. Er glaube nicht, "dass es viele Europäer gibt, die wegen Syrien sterben möchten". Europa dränge aber "mit allen Mitteln" darauf, dass es "humanitäre Lösungen" für die Zivilbevölkerung in Syrien gebe.
Flüchtlingskrise noch "nicht im Griff"
Der Kommissionschef räumte gleichzeitig ein, dass die EU die Flüchtlingskrise noch "nicht im Griff habe". Erneut mahnte er die 28 Staaten der Union, das Problem gemeinsam anzugehen. "Wir können nicht Italien und Griechenland alleine lassen", sagte er. "Und wir können nicht tolerieren, dass nur Deutschland oder Schweden Flüchtlinge aufnehmen. Die innereuropäische Solidarität muss gestärkt werden." Damit bezog er sich offenbar auf die Weigerung von osteuropäischen Ländern wie Ungarn oder der Slowakei, Flüchtlinge aufzunehmen.
Juncker verteidigte zugleich den "sehr oft verunglimpften" Flüchtlingspakt mit der Türkei. Dieser habe zu einem deutlichen Rückgang der Ankunftszahlen in Griechenland von über 10.000 pro Tag auf zuletzt noch 80 pro Tag geführt, sagte er.
Der Kommissionschef betonte gleichzeitig, dass er das massive Vorgehen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen Regierungsgegner nicht billige. "Erdogan hat in den Jahren seiner Premierministerschaft die Türkei langsam, aber sicher an Europa herangeführt. Und in den letzten beiden Jahren führt er sicher, aber schnell die Türkei wieder von Europa weg."
Keine Angst vor neuer Eurokrise
Juncker äußerte sich auch zum Thema Italien. Er sehe keine Gefahr einer neuen Eurokrise durch die schwierige Lage italienischer Banken. "Ich glaube nicht, dass zu erwarten steht, dass die Probleme der italienischen Banken als unlösbar anzusehen sind", sagte der Luxemburger. Die EU werde "alles tun", um der italienischen Regierung hilfreich "zur Seite zu springen".