Israels Universitäten Ein Krieg auch um die Wissenschaftsfreiheit
Ein israelischer Gesetzentwurf soll dafür sorgen, dass Uni-Mitarbeiter entlassen werden, die sich "gegen Israel" oder "Terror unterstützend" äußern. Präsidenten führender Universitäten sehen die Freiheit von Lehre und Forschung gefährdet.
Eine Demonstration an der Hebräischen Universität Jerusalem: Hier geht es nicht - wie an Hochschulen in Europa und in den USA - um den Krieg im Gazastreifen, sondern um Grundsätzliches, nämlich die Freiheit der Wissenschaft. Hunderte Professorinnen und Dozenten sind gekommen - auch die Leitungen der größten Universitäten Israels. Zum Beispiel Rony Geva, die Rektorin der Bar Ilan-Universität bei Tel Aviv.
"Die Wissenschaft ist sehr wichtig im Staat Israel", sagt Geva. Die Wissenschaft sorge für den Erhalt der demokratischen Werte, von Gleichheit und der Rechte von Minderheiten. "Auch für den Erhalt von Vielfalt, damit unterschiedliche Meinungen zu Wort kommen und Kritik an der Politik der Regierung geäußert werden kann."
Die Rektorin regt sich über einen Gesetzesvorschlag auf, der gerade im israelischen Parlament beraten wird - und der dann doch mit dem Gaza-Krieg zu tun hat.
Dozenten sollen entlassen werden
Treiber ist unter anderem der Verband der israelischen Studierenden. 70.000 wurden in Israel seit dem 7. Oktober zum Reservedienst in der israelischen Armee eingezogen. Unter den Toten, Verletzten und Verschleppten des Terrorangriffs aus dem Gazastreifen sind auch Studierende. Immer wieder war es in den letzten Monaten ein Skandal in israelischen Medien, wenn israelisches Universitätspersonal Verständnis für die palästinensische Seite zeigte.
Mit solchen Fällen erklärt Elhanan Fellheimer, der Chef des Studierenden-Verbandes die Initiative: "Deswegen haben wir angefangen, diese Gesetzgebung voranzubringen, die zwei einfache Dinge beinhaltet: eine akademische Institution wird gezwungen sein, einen Dozenten zu entlassen, der Terror im Staat Israel unterstützt oder dazu anstiftet - und das ohne eine Abfindung zu zahlen." Einer akademischen Institution, die das nicht tut, könne vom Hochschulrat die Förderung gekürzt werden.
Druck auf Israels Universitäten
Fellheimer begründet das im Gespräch mit dem ARD-Studio Tel Aviv mit Fällen wie dem von Anat Matar, einer israelischen Philosophin, die an der Tel Aviv Universität lehrt. Sie hatte sich über Walid Dakka geäußert, einen Palästinenser, der fast 40 Jahre in israelischen Gefängnissen gesessen hat.
Israeli wirft ihm die Beteiligung an der Entführung und Tötung eines israelischen Soldaten vor. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International haben Zweifel an seinem Prozess und seiner Tatbeteiligung geäußert und sehen ihn als politischen Gefangenen. Dakka, der unter anderem ein Theaterstück geschrieben hat, war im April an Krebs gestorben. Und Anat Matar, die Philosophin, hatte ihn auf Facebook als "endlose Quelle der Inspiration" bezeichnet und damit Kundgebungen gegen sie ausgelöst, an denen sich auch Elhanan Fellheimer beteiligt hat.
"In den vergangenen Monaten ist uns aufgefallen, dass die akademischen Einrichtungen dieses Problem nicht behandeln", sagt er. "Versuchen Sie sich eine Situation vorzustellen, in der ein Student aus dem Reservedienst im Gazastreifen zurückkehrt und von einer Dozentin unterrichtet wird, die denkt, es sei legitim, ihn - denselben Studenten, der als Reservist diente - zu versuchen zu töten, nur weil er ein Soldat ist und das als legitimer Teil des Widerstands gegen die Besatzung aufgefasst wird." Dieser Fall sei eingetreten.
"Das Gesetz, das uns zum Schweigen bringt"
Doch wo beginnt die Unterstützung des Terrors, wo hört die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit auf? Bei der Demonstration in Jerusalem bezeichnen sie den Gesetzentwurf als "das Gesetz, das uns zum Schweigen bringt".
Rony Geva, die Universitätspräsidentin, ist dagegen. Auch, weil israelische Wissenschaftlerinnen ohnehin immer häufiger von Tagungen im Ausland ausgeschlossen werden: "Wenn aus den Universitäten nur die Stimme der momentanen Regierung und nicht die Stimme, die der professionellen Ethik und unserem Wissen verpflichtet ist, ertönen lassen, dann kann der Widerstand gegen den Boykott nicht mehr gerechtfertigt werden." Sie könne das Konzept des akademischen Boykotts nicht akzeptieren. Es sollte die Wissenschaft sein, die als erste gegen Boykott ankämpft.
Aber das setzt voraus, dass die Universitäten frei sind und auf der Grundlage der Wissenschaft - so wie sie sein sollte - bestehen. Der Kriegszustand in Israel verschärft die Stimmung auch an den Universitäten des Landes. Und der Krieg - er wird inzwischen auch um die Freiheit von Wissenschaft und Lehre geführt.