Immigration nach Israel "An jedem anderen Ort würde ich mich fremd fühlen"
Israel ist - qua Statut - ein Staat für alle Juden. Die Regierung tut viel dafür, Juden in aller Welt möglichst zahlreich zur Immigration zu bewegen - um den Charakter eines mehrheitlich jüdischen Staates zu bewahren. Nach dem Ende des Kalten Krieges setzte die bislang größte Einwanderungswelle aus der ehemaligen Sowjetunion ein - allein bis zum Jahr 2000 strömten rund 1,2 Millionen Juden aus Osteuropa in das Land. Für Israel war das ein beträchtlicher Gewinn.
Von Clemens Verenkotte, ARD-Hörfunkstudio Tel Aviv
Nathan Rutkin stammt aus Weißrussland. Er gehört zu den insgesamt rund eine Million Einwanderern, die seit 1990 aus den Ländern der früheren Sowjetunion nach Israel gekommen sind. Dort, in Witebsk, habe es keine Gefahren gegeben, erzählt er. Man habe dort ruhig und glücklich leben können. Gefehlt hab dort nicht. "Die Entscheidung auszuwandern fiel bei mir mit 18 Jahren, als ich zu verstehen begann, wie ich zu dieser ganzen Geschichte gehöre - der Geschichte der Juden und des Staates Israel. Deshalb habe ich beschlossen, dass das eine Herausforderung ist, der ich mich stellen muss", sagt Rutkin heute.
Seine Eltern hätten von der Entscheidung zunächst nichts gehalten, 1995 zusammen mit seiner jungen Frau und der damals zweijährigen Tochter nach Israel auszuwandern. Heute würden sie nachkommen wollen. Da sie aber von ihrer weißrussischen Rente in Israel nicht leben könnten, beließen die Eltern es bei einigen Besuchen. Nathan arbeitet heute als stellvertretender Direktor im Stadtmuseum von Nahariya, der nördlichsten Mittelmeerstadt Israels.
"An jedem anderen Ort wäre ich Außenseiter"
Seine Frau und er, die als Mathematiklehrerin an einer staatlichen Schule unterrichtet, haben in Israel noch einen Jungen und ein Mädchen bekommen. Er sehe ihre Zukunft hier, sagt Nathan. "An jedem anderen Ort würde ich mich fremd fühlen - hier ist der einzige Ort, an dem man nicht auf meine Religion achtet. An jedem anderen Ort wäre ich mit meinen jüdischen Wurzeln der Außenseiter. Sogar in Weißrussland, wo meine Familie seit Generationen lebte, die Sprache und die Kultur verstand und Teil der Gesellschaft war, haben sie sich trotzdem nicht als Teil des Volkes gefühlt", sagt er.
Die ersten Jahre in Israel seien sehr schwer gewesen. Doch er habe immer wieder Menschen getroffen, die ihn unterstützt und ihm geholfen hätten, mit dem "schweren Leben hier fertig zu werden". In Israel gebe es manchmal zuviel zuviel Chaos. Die Leute würden etwas versprechen und sich nicht immer daran halten. Das sei keine besonders gute Eigenschaft. Schlecht sei in letzter Zeit auch die die zunehmende Gewalt - vor allem von Kindern.
"Ich träume, dass es keine Grenzen gibt"
Gute Eigenschaften gebe es aber unendlich viele, sagt Nathan. Die gegenseitige Hilfe in Notzeiten sei schön. Vor zwei Jahren erlebte er sie am eigenen Leib. "Im letzten Libanonkrieg hat mich eine Familie aus dem Zentrum des Landes angerufen, die ich vorher nicht kannte. Sie sagten: Kommt zu uns in unser Haus, dort warten wir, bis dieser Krieg vorüber ist."
Hinter Rutkins Museum verläuft eine einsame, eingleisige Eisenbahnstrecke - heute der nördlichste Punkt der israelischen Streckennetzes. Früher, vor 1948, konnten Fahrgäste von Jaffa über Haifa und Nahariya bis nach Beirut und Tripolis im Libanon fahren - und von dort weiter nach Europa: "Oft träume ich davon, ein Ticket zu kaufen hier in Nahariya und bis nach Wien zu fahren, so wie das früher war. Nach Österreich - oder in die andere Richtung, nach Ägypten. Ich träume davon, dass es keine Grenzen gibt und keine feindlichen Übergriffe. Von diesem schönen Szenario könnte die ganze Region profitieren."