Entführte jesidische IS-Geiseln Freigekauft - von deutschen Verwandten
Über 5000 jesidische Frauen und Mädchen sollen von der IS-Terrormiliz im Irak und Syrien verschleppt worden sein. Einige Hundert wurden bislang freigekauft - offenbar auch von deutschen Verwandten. Die helfen, trotz moralischer Bedenken. Das zeigen exklusive Recherchen von BR und "DIE ZEIT".
In einem Gemeindehaus im Südosten der Türkei trifft ein BR-Team jesidische Mädchen, die vor kurzem freigekauft wurden und denen die Flucht gelang. Im Interview schildern sie ihre Erlebnisse. "Sie haben meinen Vater und meine Brüder ermordet, ihre Leichen geschändet und Fotos davon auf Facebook gestellt. Wir wurden entführt. Sie haben uns vergewaltigt und als Arbeitssklaven missbraucht", sagt eine junge Jesidin, die ihren Namen nicht veröffentlicht sehen möchte.
Das Geld für ihre Befreiung wurde auch in Deutschland gesammelt. Erstmals berichtet ein Funktionär eines jesidischen Verbandes in Deutschland gegenüber dem BR und der Wochenzeitung "DIE ZEIT" über die Praxis des Freikaufs von Geiseln aus den Fängen des "Islamischen Staats" auch in Deutschland.Wenn man wisse, man brauche Geld für den einen Fall, dann versuche man, das auch zusammen zu bringen, sagt Sefik Tagay, vom jesidischen Verband.
Helfen trotz moralischer Bedenken
Nach Recherchen vor Ort wurden in den vergangenen Wochen vierstellige Beträge unter Jesiden in Deutschland gesammelt. Das Geld soll über Mittelsmänner in die Region gebracht werden und Zwischenhändler sollen die Geiseln dann freikaufen.
Deutsche Jesiden, wie auch orientalische Christen, haben sich entschlossen, auf diese Weise verschleppte Frauen zu retten - trotz aller moralischen Bedenken. Denn allen Beteiligten ist klar: Die Spendengelder zum Freikauf der Geiseln landen auch in den Kassen des IS. "Das ist natürlich ein bisschen schizophren. Aber ich glaube, in dem Fall ist wichtig: Wir retten Leben, das ist entscheidend", sagt Tagay.
Erste positive Signale aus Deutschland
In ein normales Leben finden die Opfer alleine kaum zurück. Sie sollen Hilfe in Deutschland bekommen. Zwei Bundesländer haben sich bereit erklärt, die Betroffenen in Deutschland medizinisch zu betreuen. Es gäbe erste positive Signale, das sich weitere Bundesländer ganz gezielt Gedanken machen, ob sie ein Kontingent von schwerst traumatisierten jesidischen Flüchtlingen nach Deutschland holen, bestätigt Tagay, der auch Forschungsleiter an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Duisburg-Essen ist, die Recherchen von BR und "ZEIT".
Mittelfristig sollen die freigekauften Frauen, aber auch diejenigen, die aus den Fängen des IS fliehen konnten, in einem Modellprojekt in Deutschland betreut und medizinisch behandelt werden. Auch über diesen Aspekt wurde bislang nicht berichtet.
Laut Schätzungen befinden sich inzwischen rund 450 verschleppte Frauen wieder in Freiheit. Diese Zahl setzt sich aus den freigekauften wie denjenigen Frauen zusammen, denen die Flucht vor ihren Peinigern aus eigener Kraft gelang.