Interview zu den Massenprotesten im Iran "Das Regime hat sich selbst in eine Zwickmühle gebracht"
Der Iran ist erstmals wirklich in zwei Lager zerbrochen, meint der Iran-Experte Walter Posch. Er erklärt im tagesschau.de-Interview, warum es nun extrem schwierig ist, einen Ausweg aus der Krise zu finden und weshalb der unterlegene Kandidat Mussawi durchaus als Reformer bezeichnet werden kann.
tagesschau.de: Der Iran hat besondere Machtstrukturen. Diese enthalten sowohl demokratische, aber auch starke religiös-autoritäre Elemente. Lässt sich dieses System mit unserer Demokratie vergleichen?
Walter Posch: Nur begrenzt. Was man aber sagen kann ist, dass die demokratisch gewählten Vertreter höheres Ansehen genießen und auch eine größere Macht ausüben können. Mit Ausnahme des Revolutionsführers natürlich. Das gilt nicht unbedingt für die Parlamentarier, denn das Parlament hat doch relativ wenig Einfluss, aber sehr wohl für die Mitglieder des Expertenrates und den Präsidenten.
Walter Posch arbeitet am österreichischen Institut für Friedensforschung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie. Sein Arbeitsschwerpunkt sind die Machtstrukturen der Islamischen Republik Iran. Er hat in Wien, Istanbul und Bamberg studiert. Seine Doktortitel erlangte er in Iranistik. Seit April 2004 arbeitet er auch als Research Fellow am European Union Institute for Security Studies in Paris.
Für den normalen iranischen Staatsbürger zeigt sich dies vor allem im Alltag. So hat zum Beispiel unter Präsident Mahmud Ahmadinedschad die Sittenpolizei deutlich an Macht gewonnen. Das hat zu einer Militarisierung des täglichen Lebens geführt, polizeistaatliche Maßnahmen waren an der Tagesordnung. Unter den beiden Präsidenten davor war das noch ganz anders. Damals gab es viele kleine Freiheiten, die das alltägliche Leben erträglicher machten.
tagesschau.de: Da stellt sich natürlich die Frage nach der Position Hussein Mussawis. Dieser wird als "Reformer" bezeichnet. Tatsächlich war er vor 20 Jahren als Premierminister eher durch Härte aufgefallen. Ist es gerechtfertigt, ihn den Reformkräften zuzurechnen?
Posch: Das ist durchaus berechtigt. Mussawi konnte in den 1980-er Jahren einfach kein Liberaler oder Reformer sein. Schließlich war das Land damals im Krieg und die grausamsten Kapitel der Revolution waren gerade am abklingen. Vor diesem Hintergrund kann man akzeptieren, dass er doch eine radikale Vergangenheit hat. Und man darf auch nicht vergessen, dass er dennoch aus der gemäßigteren islamistischen Linken stammt.
tagesschau.de: Würde sich mit einem potentiellen Präsidenten Mussawi die umstrittene Außenpolitik Irans - Stichwort Atomprogramm oder Verhältnis zu Israel - ändern ?
Posch: Ich denke schon, aber nicht grundlegend. Denn schließlich hätte auch Mussawi ein Parlament mit Fundamentalisten. So schwach das Parlament manchmal ist, so stark ist es im Querschießen zur Politik des Präsidenten. Was er zum Beispiel nicht tun kann, ist die Anreicherung nuklearen Materials aufzugeben. Aber in der Realpolitik erwartet das auch niemand mehr wirklich. Die Iraner werden sich dies nicht mehr nehmen lassen. Was dem Westen aber helfen würde, wäre ein geänderter Ton bei Verhandlungen.
Will der Iran eine Einigung mit dem Westen, wird er die Sicherheitsinteressen Israels ernst nehmen müssen. Und dazu gehört, dass die ganzen nuklearen Fragen auf ein Niveau ähnlich des Atomwaffensperrvertrages gehoben und die Verhandlungen mit der Internationalen Atomenergiebehörde fortgesetzt werden. Dagegen wird es im Iran und auch im Westen Widerstände geben. Aber diese müssen dann von der Diplomatie überwunden werden. Ein weiterer Schlüssel in der Beziehung zu Israel ist die Frage eines eigenen Staates für die Palästinenser. Und da gibt es im Iran seit kurzem ein Umdenken. Nun wird auch eine Zwei-Staaten-Lösung nicht mehr grundsätzlich abgelehnt.
tagesschau.de: Bei uns entsteht ja manchmal der Eindruck, dass es sich beim Iran um ein geschlossenes autoritäres Regime handelt. Doch es gibt dort auch liberale Kräfte und die Gesellschaft ist doch teilweise offener als in anderen islamischen Staaten?
Posch: Es stimmt, dass der Iran unter Anführungszeichen liberaler als andere islamische Staaten ist. Es stimmt aber nicht, dass das Land wirklich demokratisch oder liberal ist. Es gibt ganz klare Richtlinien wer wählen darf. Ebenso vorgeschrieben ist, welche Parteien überhaupt kandidieren dürfen. So sind zum Beispiel die Demokratische Partei Kurdistan oder radikale sunnitische Gruppen von den Wahlen von vornherein ausgeschlossen. Sie erfüllen eine wesentliche Voraussetzung nicht, ein offenes Bekenntnis zum Revolutionsführer. Dennoch gab es im Iran immer verschiedene politische Lager, linksorientierte und rechtsorientierte Kräfte, klerikale und weniger klerikale Fundamentalisten. Und das hat dem Regime bislang auch immer Flexibilität gegeben.
Die wichtigsten Konfliktlinien
tagesschau.de: Wo verlaufen denn jetzt die wichtigsten Konfliktlinien zwischen Reformisten und Fundamentalisten?
Posch: Das Lager der Reformisten hat nun die eher säkular orientierten Kräfte eingeladen. Sie sind der Meinung, dass diese genauso wie die Sunniten und andere Minderheiten auch, ein Mitspracherecht haben sollten. Damit stehen sie im direkten Gegensatz zu den radikalen Fundamentalisten. Zudem bestehen die Reformkräfte darauf, dass dem Amt des Revolutionsführers Grenzen gesetzt werden. Die Fundamentalisten hingegen wollen dessen Befugnisse eher noch ausweiten. Die Bruchlinie zwischen den beiden Lagern ist in der Vergangenheit immer eher schlecht als recht überdeckt und gekittet worden. Und jetzt ist sie ganz offen zu Tage getreten. Das Land ist nun das erste Mal wirklich in zwei Lager zerbrochen.
"Blutrote Lösung" oder Neubeginn?
tagesschau.de: Da stellt sich die Frage, was aus diesem offenen Bruch zwischen den zwei Lagern werden wird. Denken Sie, dass daraus auch ein Zuwachs an Demokratie werden kann?
Posch: Das hängt jetzt ganz stark vom Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei und der inneren Dynamik bei den Eliten des Landes ab. Diese müssen sich jetzt entscheiden, ob sie eine blutrote Lösung oder einen hoffnungsvollen Neubeginn wollen. Das ganze Regime hat sich sozusagen selbst in eine Zwickmühle gebracht. Einerseits brauchen sie eine Zwei-Drittel-Mehrheit für Ahmadinedschad, andererseits können sie nicht mehr so tun, als würden die Reformisten nicht existieren.
"Dies lässt sich nicht mehr wegprügeln"
Die Reformer lassen sich nicht mehr von der Straße wegprügeln. Wenden die fundamentalistischen Machthaber aber drastischere Gewalt an, schießen sie sich gewissermaßen selbst ins Bein. Denn das Besondere an der Islamischen Republik war bislang, dass sie doch von der Bevölkerung legitimiert war. Also wie geht es weiter? Ein Kompromiss dürfte allein aus Gründen der Ehre und des Stolzes der Kandidaten schwierig werden. Man müsste Mussawi zum Akzeptieren eines Wahlergebnisses zwingen, was er bereits abgelehnt hat. Es bedarf jetzt großen innenpolitischen Geschicks seitens des Revolutionsführers.
tagesschau.de: Ihre Prognose also?
Posch: Kaum einer der Experten kann wirklich wissen, wer jetzt gerade beim Revolutionsführer im Büro sitzt, mit wem er sich berät. Wie stark hat Chamenei die eigenen Leute unter Kontrolle, wie stark haben sich die Dynamiken in der Krise verändert? Es wird jetzt zum Vorschein kommen, wer im Regime die tatsächliche Macht hat. Das werden die Leute sein, die sich trauen Entscheidungen selbst zu treffen, die den Mut haben, Visionen zu formulieren.
Das Interview führte Stefan Keilmann, tagesschau.de.