Atomabkommen mit Iran "Ein großer Sieg der Diplomatie"
Die Vereinbarung über Teherans Nuklearprogramm gibt Anlass zur Hoffnung, meint ARD-Nahostkorrespondent Reinhard Baumgarten im Gespräch mit tagesschau.de. Trotzdem bleibt die Region weiter von Spannungen geprägt.
tagesschau.de: Das Atomabkommen der internationalen Gemeinschaft mit Iran ist in Kraft getreten. US-Präsident Obama spricht von „historischen Fortschritten“, Irans Staatschef Rouhani von einer „goldenen Seite im Geschichtsbuch“ des Landes. Ist so viel Optimismus angebracht?
Reinhard Baumgarten: Ich finde schon. Wir hatten einen Konflikt, der zu eskalieren drohte. Es war von amerikanischer und israelischer Seite jahrelang die Rede davon, dass „alle Optionen auf dem Tisch“ liegen. Das schloss auch einen Waffengang ein. Angesichts dessen ist das, was jetzt erreicht wurde, ein großer Sieg für die Diplomatie in einer Region, die überkocht vor Konflikten. Das Abkommen zeigt, dass auch schwierige Probleme politisch gelöst werden können und nicht militärisch ausgetragen werden müssen.
tagesschau.de: Ist eine iranische Atombombe endgültig vom Tisch?
Baumgarten: Schön wär's. Das Atomabkommen hat eine Laufzeit von 25 Jahren. So lange werden die strikten Kontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA durchgeführt. Was danach geschieht, muss dann neu verhandelt werden.
Am Wochenende hat die IAEA bestätigt, dass der Iran bislang alle vereinbarten Vorleistungen zum Inkrafttreten des Atomabkommens erbracht hat, sodass eine Uran- und Plutoniumproduktion im großen Maße nicht mehr möglich ist. Aber die IAEA hat auch festgestellt, dass der Iran bis zu einem gewissen Zeitpunkt an der theoretischen Möglichkeit gebastelt hat, Atomwaffen herzustellen. Ich denke nicht, dass das Thema für alle Ewigkeit abgeräumt ist.
tagesschau.de: Das Verhältnis des Landes zum Westen ist längst noch nicht entspannt. In Syrien etwa stützt Teheran das Regime des Diktators Assad. Ist in diesem Konflikt eine Annäherung möglich?
Baumgarten: Theoretisch ist das denkbar, aber ich sehe hier zwei große Hindernisse. Die Regierung unter Präsident Rouhani ist nach eigenem Bekunden bereit, eine konstruktive und mäßigende Rolle zu übernehmen. Aber im Iran üben Hardliner einen sehr großen Einfluss auf die Innen- und Außenpolitik aus. Sie stützen das Assad-Regime trotz eines hohen iranischen Blutzolls mit vielen Milliarden Dollar und mit entsandten Kämpfern. Das andere Hindernis ist Saudi-Arabien. Die Herrschenden in Riad haben ein riesiges Problem damit, dass der Iran aus der Paria-Ecke herauskommen und erstarken könnte. Deshalb haben sie über den Ölpreis eine Art Wirtschaftskrieg gegen Teheran losgetreten. Auch wird ab Ende des Jahres das Ergebnis der amerikanischen Präsidentschaftswahl eine Rolle spielen.
tagesschau.de: Könnte der Konflikt zwischen den Regionalmächten Iran und Saudi-Arabien weiter eskalieren?
Baumgarten: Die Gefahr einer weiteren Eskalation besteht durchaus, wobei ich einen offenen Krieg zwischen den beiden Ländern ausschließen möchte. Saudi-Arabien hat eine Art "Iranophobie" entwickelt. Das Land empfindet Teheran als große Bedrohung. Deshalb tut es alles dafür, den Iran in Schach zu halten. Das Land hat militärisch deutlich aufgerüstet. Saudi-Arabien steckte im vergangenen Jahr rund 80 Milliarden Dollar in seinen Wehretat. Damit steht Riad weltweit an vierter Stelle. Die Militärausgaben Irans liegen deutlich niedriger - etwa bei zehn bis 15 Milliarden Dollar. Ideologisch rüsten die Hardliner in Teheran zwar genauso auf, doch fehlt ihnen das Geld, um sich das entsprechende Kriegsmaterial zu beschaffen.
tagesschau.de: Sie hatten erwähnt, dass Saudi-Arabien Iran über den Ölpreis schaden will. Aber ist der niedrige Preis nicht schlecht für beide Länder?
Baumgarten: Der niedrige Ölpreis ist weder für Iran, noch für Saudi-Arabien gut. Riad hat jetzt schon ein Haushaltsdefizit von 90 Milliarden Dollar. Trotzdem produziert das Land weiter viel mehr Öl, als der Markt braucht und drückt den Preis immer weiter nach unten, um Iran zu treffen. Damit schadet sich Saudi-Arabien auch selbst, aber das Land hat 600 Milliarden Dollar Rücklagen. Der Iran hat das nicht. Teheran braucht Geld. Das Land will 50 Milliarden Dollar an Krediten aufnehmen und hofft auf 30 Milliarden Dollar an Auslandsinvestitionen, vor allem in die Öl- und Gasindustrie. Der Iran will nach dem Ende der Sanktionen natürlich wieder mehr Öl verkaufen - derzeit liefert das Land nur 1,1 Millionen Fass am Tag. Möglich wäre binnen Jahresfrist wohl fast das Doppelte.
tagesschau.de: Die Sanktionen haben Iran wirtschaftlich schwer getroffen. Wie wird ihr Ende das Land verändern?
Baumgarten: Die Sanktionen waren schmerzhaft. Sie haben ja nicht nur die Ölindustrie getroffen. Das Land ist auch aus dem SWIFT-System, das weltweit Finanzströme zwischen Banken organisiert, geflogen, sodass iranische Firmen und ausländischen Unternehmen kaum noch Geschäfte machen konnten. Das muss sich jetzt langsam wieder normalisieren. Eine Goldgräberstimmung spüre ich allerdings nicht. Unter iranischen und ausländischen Unternehmern herrscht nur große Hoffnung und ein ganz vorsichtiger Optimismus. Die Ökonomie Irans litt in den vergangenen Jahren nicht nur unter den Sanktionen, sondern auch unter extremer Misswirtschaft und Korruption. Der private Sektor im Land hat viel an Boden verloren. Solange hier keine Umstrukturierung stattfindet, wird der Aufschwung auf sich warten lassen. Das sagt auch Irans Präsident Rouhani.
tagesschau.de: Die Reformer in Teheran erwarten durch das Atomabkommen Rückenwind, etwa für die Parlamentswahlen im Februar. Derzeit wird das Parlament noch von konservativen Kräften dominiert. Wird der Iran eine offenere Gesellschaft werden?
Baumgarten: Es besteht eine riesige Diskrepanz zwischen Bevölkerung und herrschendem Apparat. Die iranische Bevölkerung wünscht sich weitreichende Liberalisierungen und würde den moderaten Präsidenten auf einem solchen Kurs sicher unterstützen. Aber so einfach ist es nicht. In den vergangenen Tagen hat der Wächterrat, ein von Konservativen dominiertes Gremium, das Kandidaturen für politische Ämter absegnen muss, bekannt gegeben, welche Kandidaten für die Parlamentswahl am 26. Februar zugelassen sind. Von rund 3000 reformorientierten Kandidaten dürfen nur 30 tatsächlich antreten. Insgesamt sind 300 Sitze zu vergeben. Das ist natürlich ein gewaltiger Schlag ins Kontor des reformorientierten Präsidenten Rouhani.
tagesschau.de: Wie lange lässt sich dieser innere Widerspruch zwischen Bevölkerung und herrschendem Apparat noch aufrecht erhalten?
Baumgarten: Wir reden von einem Land, dass bei rund 80 Millionen Einwohnern eine Arbeitslosenzahl von sechs Millionen hat. Den Menschen geht langsam die Puste aus. Politikwissenschaftler in Teheran haben die heutige Lage mit der Situation Ende der 70er Jahre verglichen, die dann in die Revolution von 1979 mündete. Damals hat das herrschende Königshaus nicht begriffen, dass es eine riesige Diskrepanz zwischen dem gab, was die Bevölkerung forderte, und was der Schah für richtig hielt. Es besteht die Gefahr, dass die Bevölkerung heute, nach Aufhebung der Sanktionen, viel erwartet und dass diese Erwartungen nicht erfüllt werden können. Ich sage nicht, dass es wie in Syrien oder in Ägypten enden wird, aber der Unmut wird wachsen. Ich hoffe, dass dann zumindest die demokratischen Kräfte davon profitieren können.
Das Interview führte Julian Heißler, tagesschau.de