Interview

Sicherheitsexperte zu IAEA-Bericht "Es gibt nur schmerzhafte Wege"

Stand: 22.10.2015 13:48 Uhr

Dem IAEA-Bericht zufolge hat der Iran alle Informationen, um eine Atombombe bauen zu können. Israel sei dadurch existenziell bedroht, sagt der Sicherheitsexperte Riecke im Interview mit tagesschau.de. Unter der jetzigen Regierung gebe es keine Chance, Teheran vom Bau von Atombomben abzuhalten.

tagesschau.de: Der IAEA-Bericht ergibt, dass Iran bald in der Lage ist, Atombomben zu bauen. Was bedeutet das?

Henning Riecke: Mit dieser Untersuchung ist die IAEA weiter gegangen als bisher. Sie hat systematisch Geheimdienstberichte von zehn Staaten und offene Quellen zusammengestellt, um die Frage zu beantworten, ob der Iran ein Atomwaffenprogramm betreibt. Die Einschätzung, dass ein solches Programm betrieben wird, teilen viele Experten und Geheimdienste schon lange. Auch mit dieser Studie ist das noch nicht wasserdicht bewiesen, es ist aber ein wichtiger Schritt.

tagesschau.de: In Israel geht man davon aus, dass der Iran eine echte atomare Bedrohung darstellt. Teilen Sie diese Einschätzung?

Riecke: Ich gehe davon aus, dass Israel tatsächlich ein bedrohtes Land ist und der Iran bald die Fähigkeit zum Atomwaffenbau haben wird. Dazu kommt, dass der Iran schon lange auf eine stark anti-israelische Propaganda setzt. Äußerungen wie das oft beschworene "Israel muss von der Landkarte getilgt werden" kann man so interpretieren, dass der Iran Israel mit Atomwaffen treffen will. Dieses Gefühl der Bedrohung, das in Israel herrscht, muss man unbedingt ernst nehmen.

Ein Zitat und seine Geschichte
Der Verweis auf die Äußerungen Ahmadinedschads fußt auf einer vielzitierten Rede, die der iranische Präsident am 26. Oktober 2005 in Teheran gehalten hat. Auf der Konferenz "Eine Welt ohne Zionismus" forderte er zwar nicht wörtlich die Tilgung Israels von der Landkarte. Nach der Übersetzung des Sprachendienstes des Deutschen Bundestages sagte Ahmadinedschad aber: "Das Regime, das Jerusalem besetzt hält, muss aus den Annalen der Geschichte getilgt werden." (http://bit.ly/sPRFZB) Hierauf verweist auch 2007 der damalige iranische Außenminister Mottaki (http://bit.ly/vM8YkT).

Ahmadinedschad hatte nachträglich - vermutlich auf innenpolitischen Druck - erklärt, dass der Iran keine Pläne habe, Israel anzugreifen. Dennoch lässt der iranische Präsident bis heute kaum eine Gelegenheit aus, seine feindselige Einstellung gegenüber Israel, den Juden und der Regierung in Jerusalem deutlich zu machen.

tagesschau.de: Nun droht Israel dem Iran mit einem Angriff. Wie wahrscheinlich ist es, dass es dazu kommt?

Riecke: Es ist noch nie so wahrscheinlich gewesen wie jetzt. Der Iran ist eine existenzielle Bedrohung für Israel, auf die israelische Regierungen aller Couleur immer hingewiesen haben. Keine Regierung in Israel könnte sagen: Wir warten erstmal ab.

tagesschau.de: Hat Israel überhaupt eine andere Möglichkeit, als mit militärischen Drohgebärden zu reagieren?

Riecke: Ich könnte mir höchstens vorstellen, dass Israel durch ein Abschreckungsszenario, also durch atomare Raketen, die auf iranische Ziele gerichtet wären, den Status Quo halten könnte. Aber eine atomare Fähigkeit Irans hinzunehmen, wäre eine sehr bittere Pille für die Regierung in Jerusalem.

Wenn Israel sich stärker auf seine Verbündeten im Westen verlassen könnte, dann hätte Israel andere Möglichkeiten, als militärisch zu drohen. Also beispielsweise, wenn es nun auf Grund des neuen Berichtes eine härtere Sanktionsfront im Westen gäbe, möglicherweise in Kombination mit einer von militärischen Drohungen begleitete Diplomatie - nicht nur von den USA, sondern auch von der geschlossenen Europäischen Union. Das sehe ich aber nicht als wahrscheinlich an, denn es fällt den westlichen Staaten sehr schwer, harte Sanktionen zu beschließen, die den Iran in die Knie zwingen.

Zur Person
Dr. Henning Riecke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Dort beschäftigt sich der Politikwissenschaftler unter anderem mit Sicherheits- und Verteidigungspolitik, der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Waffenkontrolle. Der 45-Jährige studierte Politikwissenschaft sowie Geschichte und Volkswirtschaft in Frankfurt, später Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt "Internationale Beziehungen" in Berlin. Er promovierte über die nukleare Nichtverbreitungspolitik der Clinton-Administration.

tagesschau.de: Es gibt aber einige Sanktionen, welche sind das?

Riecke: Einige Bankkonten von am Nuklearprogramm beteiligten Menschen sind eingefroren, die Zusammenarbeit mit einigen Banken, die an der Finanzierung des Nuklearprogramms beteiligt sind, ist stark eingeschränkt. Es gibt auch Sanktionen von US-Seite gegen Unternehmen, die im Iran aktiv sind - auch, wenn die nicht aus Amerika kommen. Etliche europäische Banken unterstützen nichts mehr im Iran, weil sie damit ihr wesentlich ertragreicheres Geschäft in Nordamerika zerstören würden. Es gibt also eine Reihe von Sanktionen, die im Iran auch gespürt werden.

tagesschau.de: Gibt es Möglichkeiten, die noch nicht ausgeschöpft sind?

Riecke: Zum Beispiel gibt es US-Firmen, die über arabische Partner noch im Iran tätig sind. Diese Praxis müsste man unterbinden. Man müsste theoretisch auch chinesische Firmen, die dort aktiv sind, boykottieren, damit schnitte man sich aber ins eigene Fleisch.  Es gibt die entfernte Möglichkeit, durch eine Blockade die iranische Wirtschaft in die Knie zu zwingen. Allerdings könnten diese Maßnahmen die Bevölkerung noch enger gegen den Westen zusammenschweißen.

Zudem funktionieren Sanktionen nur, wenn mehrere mitmachen. Man kann die härtesten Sanktionen beschließen - wenn die anderen Staaten bereitwillig in die Lücke springen, dann nutzt das nichts. Manchmal ist es auch nicht verkehrt, wenn der schwierige Akteur Iran auch noch etwas zu verlieren hat.

tagesschau.de: Welchen Handlungsspielraum hat Deutschland?

Riecke: Deutschland ist derzeit im UN-Sicherheitsrat und könnte sich beispielsweise dafür einsetzen, dass der sich mit den Vorgängen im Iran beschäftigt - zumal der Sicherheitsrat die Atomenergieorganisation beaufsichtigt. Die Deutschen suchen nach einer kooperativen Lösung. Man könnte mehr machen, aber das würde nicht unbedingt mehr bewirken.

Unbeeinflussbar von außen?

tagesschau.de: Wie realistisch ist die Aussicht, dass überhaupt irgendeine Maßnahme, irgendein Vorgehen Ahmadinedschad daran hindern könnte, Atomwaffen zu bauen?

Riecke: Die Atomenergie wird im Iran auch als entwicklungspolitisches Thema gesehen. Dass man sich dabei nicht von außen reinreden lässt, da sind sich eigentlich alle einig.

Vor 2009, als die iranische Regierung angefangen hat, die kritischen Proteste auf den Straßen niederzuschießen, hätte man noch goldene Brücken bauen können, um die Entwicklung einer Atombombe aufzuhalten. Das ist mit dieser Regierung eigentlich nicht mehr möglich.

Wenn bei den Wahlen im nächsten Jahr ein anderer Präsident gewählt würde, dann könnte man versuchen, Angebote zu machen. Denn die wirtschaftliche Entwicklung im Iran läuft ja sehr schleppend an, sogar die Versorgung mit Benzin funktioniert nicht richtig. Man müsste den Iran vor die Wahl stellen: Entweder ihr bleibt so unterentwickelt wie bisher, dafür mit Atombombe - oder ihr könnt euch wirtschaftlich richtig entwickeln. Das geht mit dieser Regierung aber nicht, und auch nicht mit diesem System. Wenn es eine Chance gibt, dann nach den nächsten Wahlen.

tagesschau.de: Das hieße, geduldig abzuwarten - trotz der wahrscheinlichen atomaren Bedrohung Israels?

Riecke: Die militärische Option ist wahrscheinlich keine bessere. Die würde bedeuten, einen richtigen Krieg gegen den Iran zu führen und alle Anlagen zu zerstören. Das würde den iranischen Willen zur atomaren Aufrüstung bloß verstärken, weil sie dann sagen würden: Wir hätten die Atombombe schon jetzt haben müssen. Dann haben wir das gleiche Problem in ein paar Jahren schon wieder. Sie sehen: Es gibt keinen guten Weg. Alle Wege sind schmerzhaft und haben Nachteile.

Das Gespräch führte Anna-Mareike Krause, tagesschau.de