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Politologe zur Reaktion auf Giftgasangriff "Ein Dilemma für Obama"

Stand: 26.08.2013 18:13 Uhr

Die USA müssen sich entscheiden: Waffen oder Worte? Der Politologe Henning Riecke erklärt im tagesschau.de-Interview, warum sich Obama eigentlich lieber aus dem Syrien-Konflikt rausgehalten hätte und welche Fehler Deutschland nicht wiederholen will.

tagesschau.de: Derzeit besteht der Eindruck, ein Militärschlag in Syrien stehe kurz bevor. Sehen Sie das auch so?

Henning Riecke: Wenn man die derzeitigen Handlungsoptionen betrachtet, sind alle heikel: Die Amerikaner wollen keine Bodentruppen einsetzen. Das müssten sie aber, wenn sie die Chemiewaffen der Syrer einsammeln wollten. Dafür wären 60.000 – 75.000 Soldaten nötig, die über einen längeren Zeitraum operieren müssten. Genau das will aber Obama nicht. Wenn es um etwas geht, dann um einzelne Militärschläge, die Assad von einem weiteren Giftgaseinsatz abhalten würden. Ich glaube, zu mehr sind die USA nicht bereit.

Zur Person

Der Politologe Henning Riecke ist Programmleiter USA und transatlantische Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Außerdem forscht er zu den Themen Sicherheitspolitik und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen.

Wer sind die Rebellen? Wen würden die USA unterstützen?

tagesschau.de: Wie könnten denn solche Militärschläge aussehen?

Riecke: Das müssten Luftangriffe oder Schläge mit ferngelenkten Marschflugkörpern sein, die sich gegen Regierungseinrichtungen oder Stützpunkte der syrischen Streitkräfte richten würden.

tagesschau.de: Also eher ein Vorgehen wie in Libyen und nicht wie im Irak?

Riecke: Ich glaube, weder Libyen noch Irak wäre das Modell, um das es hier geht. In Libyen ging es vor allem um den Schutz der Zivilbevölkerung. Das funktionierte nur über einen Regimewechsel. Den militärischen Druck hat dann die NATO aufrechterhalten, auch das wird sich vielleicht in Syrien nicht wiederholen lassen. In Syrien ist die Situation insofern anders, weil nicht klar ist, wer die Kräfte der Rebellen sind und wem man hier nützt. Deshalb sind die Amerikaner hier vorsichtig.

"'Rote Linie hat Erwartungen geschürt"

tagesschau.de: Trotzdem scheinen sie durch den internationalen Druck geradezu gezwungen, jetzt einzugreifen.

Riecke: Die USA stecken in einem Dilemma: Durch die "rote Linie" haben sie Erwartungen geschürt, gegen Assad vorzugehen. Soll man ihre Drohgebärden auch in Zukunft erst nehmen, müssen die USA jetzt handeln. Sonst verlieren sie in der Region an Glaubwürdigkeit und Einfluss.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, inwieweit Obama sicher sein kann, keine islamistischen Gruppierungen zu unterstützen, die vom Iran finanziert werden. Die sollen aus Sicht der Amerikaner in Syrien natürlich nicht Fuß fassen. Das ist auch der Grund, warum sich die Amerikaner gerne aus der Angelegenheit rausgehalten hätten.

tagesschau.de: Klingt so, als hätte Obama mit seiner Äußerung der "roten Linie" ein klassisches Eigentor geschossen.

Riecke: Für dieses Urteil ist es noch etwas zu früh. Auszuschließen ist aber natürlich nicht, dass Obama am Ende als Zauderer dasteht. Momentan warten Öffentlichkeit und Anrainer-Staaten auf eine Entscheidung der Amerikaner. Denn ohne die USA gibt es keine Änderung im Verlauf des Bürgerkriegs in Syrien. Dass Obama nun seine Haltung überdenkt, verändert die Rahmenbedingungen und übt Druck auf die Regierung Assad aus, die sich bislang Friedensbemühungen verweigert.

tagesschau.de: Angenommen, Obama ringt sich zu einem militärischen Eingreifen durch. Wen hätte er an seiner Seite?

Riecke: Ich könnte mir vorstellen, dass die USA einen Militärschlag auch in einer relativ kleinen Koalition durchführen würden. Großbritannien und Frankreich müssten der aber auf jeden Fall angehören. Beide Staaten sind unglücklich über die Handlungsunfähigkeit der europäischen Mächte. Im Falle der Türkei, die auf ein militärisches Eingreifen drängt, ist eine direkte militärische Teilnahme als Nachbarstaat vielleicht zu riskant. Unterstützung kann aber auch durch logistische und Aufklärungshilfe geschehen.

Die USA haben klar gemacht, dass sie gerne ein UN-Mandat hätten. Das halte ich aber für sehr unwahrscheinlich, denn Russland scheint sich in seiner Unterstützung für Assad nicht zu bewegen. Das liegt daran, dass sie enge Beziehungen zu Syrien im Bereich der Rüstungsexporte haben und ihren Zugang zum strategisch wichtigen Mittelmeerhafen in Tartus beibehalten wollen. Dort haben sie Schiffe stationiert. Möglicherweise sieht Russland hier in diesem Konflikt aber auch eine Gelegenheit, sich mit den USA im Armdrücken zu üben.

Deutschland: Von Beginn an dabei

tagesschau.de: Deutschland hat "Konsequenzen" angekündigt, sollte Assad wirklich Giftgas eingesetzt haben. Deuten Sie die Aussage von Außenminister Westerwelle so, dass die Bundesrepublik aktiv in ein Kampfgeschehen eingreifen würde?

Riecke: Es ist durchaus denkbar, dass Deutschland bereit wäre, einen Einsatz zu unterstützen. Ich glaube aber nicht, dass es eine Bereitschaft gibt, selbst militärisch einzugreifen. In der Vergangenheit, zum Beispiel im Fall Libyen, sind die Amerikaner ja auch relativ kurzfristig umgekippt. Damals waren die Deutschen überrascht und nicht mehr in der Lage für eine Unterstützung. Insofern kann es sein, dass sie dieses Mal von Beginn an darstellen wollen: Wir sind auf der Seite der USA.

Das Interview führte Florian Pretz, tagesschau.de