Irans Chefunterhändler "Wir brauchen jetzt genügend Garantien"
Wie geht es für den Iran nach dem US-Ausstieg aus dem Atomabkommen weiter? Chefunterhändler Araghchi fordert im ARD-Interview: Europa muss Irans Interessen berücksichtigen - innerhalb weniger Wochen.
ARD: Welche Garantien fordern Sie genau von Europa ein?
Araghchi: Unsere Gespräche mit der EU beginnen am Dienstag, und wir erwarten von den europäischen Ländern zu hören, wie sie unsere Interessen im Atomabkommen sichern wollen.
Das Atomabkommen besteht aus zwei Säulen: Die eine ist die Einschränkung unseres Atomprogramms - die andere die Aufhebung der Sanktionen gegen uns. Wir haben Ideen für Garantien - möchten aber erst einmal von Europa hören, was sie uns überhaupt anbieten.
Abbas Araghchi ist iranischer Chefunterhändler für die Atomverhandlungen. Er wurde 1960 in Teheran geboten und studierte an der Universität Kent. Seit 2018 ist er Vizeaußenminister für politische Angelegenheiten.
ARD: Was sind Ihre Bedingungen?
Araghchi: Die Balance des Atomabkommens liegt auf diesen zwei Säulen. Wenn einer dieser Säulen Schaden nimmt, wird es keine Balance mehr geben. Wir fragen jetzt die europäischen Länder, wie sie das aufrechterhalten können. Das Atomabkommen wird nur durch die Versicherung iranischer Interessen Bestand haben. Ansonsten gibt es keinen Grund für den Iran, im Atomabkommen zu bleiben.
Aus diesem Grund ist unsere erste Frage: Wie kann Europa unsere Interessen decken? Die zweite Frage ist: Wie können sie uns garantieren, dass sie das, was sie versprechen, auch in Tat umsetzen?
Klar ist, wir haben in den vergangenen zwei Jahren keine gute Erfahrung bei der Umsetzung des Atomabkommens gemacht. Auch, als die USA noch Partner im Atomabkommen waren, hielten sie ihre Versprechen nicht ein. Das hat dazu geführt, dass die EU-Länder auch ihre Beiträge zum Atomabkommen nicht erfüllen können. Wir brauchen jetzt genügend Garantien, und wir sollten über die Form dieser Garantien in Kommissionen sprechen.
"Wenn dies umgesetzt wird, bleiben wir im Abkommen"
ARD: Denken Sie, dass Europa in der Lage ist, überhaupt Garantien zu erfüllen, die Sie fordern?
Araghchi: Das ist eine gute Frage. Das ist auch unsere Frage. Wir glauben, dass Europa den Willen besitzt, um das Abkommen aufrechtzuerhalten. Aber: Ob es auch dazu fähig ist, das Abkommen zu schützen, das ist die Frage, auf die wir in Gesprächen eine Antwort bekommen wollen.
Es reicht uns, wenn unsere Interessen erfüllt werden. Wichtig ist uns das Aufheben der Sanktionen. Wie ich bereits gesagt habe, ist die wichtigste Säule des Atomabkommens das Aufheben der Sanktionen. Dadurch werden für uns Vorteile entstehen - durch Ölverkauf, bei Bankgeschäften und Finanzen, Versicherung, Handel und vielen anderen Themen, die im Atomabkommen erwähnt worden sind. Wenn dies umgesetzt wird, bleiben wir im Atomabkommen mit Beteiligung von Europa, China und Russland.
"Einige Wochen" - so lange würden die Gespräche mit den Europäern dauern, sagte Irans Präsident Rouhani.
ARD: Wie viel Zeit hat Präsident Hassan Rouhani für Gespräche mit Europa vorgesehen?
Araghchi: Er hat nicht festgelegt, wie viele Wochen - er hat gesagt: einige Wochen. Ich glaube nicht, dass es länger als vier Wochen dauert. Gleichzeitig fordern wir die Einberufung einer gemeinsamen Kommission für das Atomabkommen, in der wir über den Austritt der USA und deren Abwesenheit im Atomabkommen sprechen.
Der Iran hat der EU eine Frist von 60 Tagen gesetzt, die weitere Umsetzung des Atomabkommens auch nach dem Ausstieg der USA zu garantieren. Das wurde bei einem Treffen unter Teilnahme des iranischen Vizeaußenministers Abbas Araghchi festgelegt, berichtete das Internetportal des Parlaments in Teheran. Nach Informationen aus Teheran beansprucht das EU-Trio Deutschland, Frankreich und Großbritannien jedoch 90 Tage. Dieses Thema solle deshalb bei dem Treffen der Außenminister am Dienstag in Brüssel erörtert werden.
ARD: Amerika möchte den Iran durch härtere Sanktionen zurück an den Verhandlungstisch holen. Gibt es eine Möglichkeit, dass der Iran mit den USA erneut Gespräche aufnimmt?
Araghchi: Hätten Sie in Deutschland ein Abkommen mit der USA unterschrieben, und wären die USA nach zwei Jahren aus diesem Abkommen ausgetreten, würden Sie nochmals Gespräche mit den USA führen? Leider besteht keinerlei Vertrauen mehr.
Wir haben mit den USA, der EU, China und Russland Gespräche geführt, wir haben guten Willen gezeigt, zu einer für alle Seiten ausgeglichenen Einigung zu gelangen. Wir haben unsere Versprechen gehalten. Die IAEA hat das in mehr als zehn Berichten bestätigt.
Aber die USA hielten sich nicht daran und brachen viele ihrer Versprechungen - jetzt sind sie ausgetreten. Nennen Sie uns einen einzigen Grund, warum wir nochmals mit so einem Land verhandeln sollen, das alle Grundlagen des Vertrauens zerstört haben! Man führt Gespräche mit einem Präsidenten, dann kommt der nächste Präsident und annulliert das Ganze.
Solange sich das Atomabkommen nicht als erfolgreich herausstellt, gibt es keine Option, dass wir überhaupt an weitere Gespräche denken.
"Unser Programm ist immer noch friedlich"
ARD: Wenn die Gespräche mit Europa zu keiner Lösung führen und der Iran wieder mit der Nuklearanreicherung beginnt: Ist das nicht eine Kriegserklärung?
Araghchi: Warum soll ein friedliches nukleares Programm eine Kriegserklärung bedeuten? Das Atomprogramm der Islamischen Republik Iran war immer ein friedliches Programm, und es ist immer noch friedlich. Wir haben wegen einiger Bedenken und Fragen beim Abkommen einige befristete Beschränkungen akzeptiert, damit wir Vertrauen aufbauen. Ich glaube, dass jetzt die ganze Welt darüber Bescheid weiß, dass das Atomprogramm des Iran durchaus friedlich ist.
Warum? Weil wir darüber gesprochen haben. Und wir haben eine Einigung erzielt, und wir haben uns an die Einigungen gehalten. Deswegen glaube ich nicht, dass der Austritt des Iran aus dem Abkommen als eine Kriegserklärung definiert werden kann. Zuerst sind die USA ausgetreten und haben ihre Versprechungen gebrochen. Wenn das Atomabkommen scheitert, trägt die USA die ganze Verantwortung.
Das Interview führte Natalie Amiri, ARD-Studio Teheran