Interview

ARD-Korrespondent über die Folgen von Taifun "Haiyan" "Es ist das reine Grauen"

Stand: 11.11.2013 15:58 Uhr

Viele der verwüsteten Orte auf den Philippinen können nur aus der Luft erreicht werden. Das erschwert und verlangsamt die Hilfe, schildert ARD-Korrespondent Robert Hetkämper im Interview mit tagesschau.de. Die Menschen dort, so Hetkämper, warten verzweifelt auf Unterstützung

tagesschau.de: Herr Hetkämper, Sie sind gestern mit einem Hubschrauber über das Katastrophengebiet auf der Insel Leyte geflogen. Was waren Ihre Eindrücke?

Robert Hetkämper: Wir sind die Schneise entlang geflogen, die der Taifun quer durch das Land gezogen hat. Dabei sind wir auch tief über Dörfer geflogen, die zerstört und noch nicht von Helfern erreicht worden sind. Auf dem Boden nahmen Menschen Hemden in die Hand und winkten uns in der Hoffnung zu, dass wir Hilfsgüter bringen könnten. Das war schrecklich. Es tut einfach weh, wenn man das miterleben muss, aber wir wollen ja berichten und so möglicherweise zu weiteren Hilfeleistungen motivieren.

Robert Hetkämper, Leiter NDR-Studio Singapur
Zur Person
1984 kam Robert Hetkämper das erste Mal als Reporter ins Studio Singapur. Von 1988 bis 1992 war er Leiter des Studios in Tokio, bevor ihn der NDR als Fernseh-Chefredakteur nach Hamburg holte. Drei Jahre später kehrte er nach Japan zurück. Von 1999 bis 2001 war Hetkämper dann "Senior Correspondent" im ARD-Studio Washington. Seit 2002 leitet Robert Hetkämper das Studio Singapur.

tagesschau.de: Sie sind dann in der verwüsteten Stadt Tacloban gelandet. Was haben Sie dort erlebt?

Hetkämper: Es war das reine Grauen. Wir sind auf einem Sportplatz gelandet und dann zu Fuß mit der Kamera durch die Stadt gelaufen. Tacloban ist eine tote Stadt. Normalerweise geht es auf den Philippinen ja immer etwas laut und fröhlich zu, aber jetzt laufen die Menschen still und traumatisiert durch die Straßen und suchen etwas Essbares und vor allem etwas zu Trinken.

tagesschau.de: Sind die Menschen verzweifelt oder gelingt es ihnen, sich in dieser Situation so gut es geht zu helfen?

Hetkämper: Die Menschen hier sind ja Naturkatastrophen gewohnt, auch wenn das zynisch klingt. Es gibt mehrere Taifune pro Jahr, die aus den Tiefen des Pazifiks kommen. Deswegen sind wahrscheinlich auch nur wenige den Evakuierungsaufrufen gefolgt und haben dafür mit dem Leben bezahlen müssen. Verzweiflung ist das falsche Wort, die Zeitungen hier sind voll mit dem Stolz der Philippiner, auch mit so schlimmen Situationen fertig zu werden. Gestern haben wir eine junge Frau getroffen, die kicherte und lachte. Als ich sie fragte, warum sie eigentlich lacht, sagte sie: "Wenn schon alles so schlimm ist, warum sollen wir dann auch noch Trübsal blasen?"

tagesschau.de: Es gibt auch Berichte über Plünderungen ...

Hetkämper: Man soll ja für kriminelle Akte kein Verständnis haben, aber ich kann es schon nachvollziehen, dass Leute in Warenhäuser einbrechen und versuchen, sich etwas zu Essen zu besorgen. Dass auch Geld oder Fernsehgeräte gestohlen werden, ist eine Begleiterscheinung. Aber wenn ich das richtig einschätze, hat es hier keine systematischen Plünderungen gegeben.

tagesschau.de: Ist denn Hilfe von den Behörden in Sicht?

Hetkämper: Bei diesem biblischen Ausmaß der Katastrophe darf man sich auch von den Behörden keine Wunder erwarten. Das ist einfach ein bisschen viel für ein Entwicklungsland. Es sind einige alte Transportmaschinen der Luftwaffe im Einsatz, aber die fliegen natürlich nicht pausenlos. Die Regierung versucht ihr Bestes, aber das Beste ist eben nicht genug, um bei so einer Katastrophe die Menschen versorgen zu können.

tagesschau.de: Sind bereits Hilfsorganisationen im Einsatz, um die philippinischen Helfer zu unterstützen?

Hetkämper: Wir warten in Cebu noch auf die ersten Hilfsorganisationen, auch aus Deutschland. Aber auch die sind gerade erst im Land angekommen und müssen sich orientieren. Dann kommt die große Frage: Wo werden wir mit unseren Spezialkenntnissen und Hilfsgütern am ehesten gebraucht? Und die zweite Frage wird sein: Wie kommen wir dahin? Die Katastrophengebiete sind alle auf Inseln, man muss also entweder fliegen oder ein Schiff nehmen und auch die Zahl der Schiffe hier ist begrenzt. Das ist eine riesige logistische Herausforderung.

Udo Schmidt, U. Schmidt, NDR Singapur, 11.11.2013 15:49 Uhr

tagesschau.de: Sie haben bereits von vielen anderen Katastrophen in Asien berichtet. Sind die Auswirkungen von "Haiyan" mit denen anderer Unglücke vergleichbar?

Hetkämper: Es ist ein sehr schmerzhafter Anblick, wenn man in einem Stadtviertel steht, das einfach dem Erdboden gleich gemacht worden ist. Das erinnerte mich schon ein wenig an den Tsunami von 2004 in Indonesien und Thailand, obwohl der natürlich in seiner Dimensionen viel schlimmer war. Doch die Erinnerung an die Bilder von damals kommt dann hoch. Es sah in großen Teilen von Tacloban so aus, als sei ein Tsunami über die Stadt gegangen.

tagesschau.de: Für Dienstag sind auf den Philippinen weitere Regenfälle angekündigt. Werden die die Situation weiter verschärfen?

Hetkämper: Wenn es hier regnet, dann regnet es auch richtig! Es sind Tropengüsse, die Überschwemmungen mit sich bringen. Da sitzt man dann in einem Haus, das kein Dach hat und ist völlig ungeschützt und hat auch immer noch nichts zu Essen und kein Trinkwasser. Für die Menschen ist das ein bisschen viel.

Das Interview führte Benjamin Laufer für tagesschau.de