Interview mit Guterres "Klimawandel ist schneller als wir"
Eine Welt in Aufruhr - dieses Bild zeichnet UN-Generalsekretär Guterres im ARD-Interview. Die Beziehungen der mächtigsten Nationen seien so gestört wie nie zuvor. Das drängendste Problem aber: der Klimawandel. Am 30. Mai erhält er den renommierten Karlspreis in Aachen.
ARD: Wie groß ist Ihre Sorge wegen des Aufstiegs von Nationalisten, Populisten und rechten Parteien in Europa?
Antonio Guterres: Der größte Beitrag Europas zur Zivilisation waren die Aufklärung und die Werte der Aufklärung. Dabei geht es um Toleranz und darum, dass die Vernunft an erster Stelle steht. Ich bin sehr besorgt, dass diese Werte in Frage gestellt werden. Ich muss zugeben, dass ich diese Werte vor Jahrzehnten für selbstverständlich hielt und dachte, sie seien in der europäischen Gesellschaft tief verwurzelt. Leider haben wir einen Anstieg an Populismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, sowie andere Formen von Irrationalität gesehen.
Ich hoffe, dass Europa weiterhin zu den Werten der Aufklärung steht und dass die Mehrheit der Europäer unabhängig von der komplizierten politischen Situation dem treu bleiben, was ich - und ich wiederhole das - für den wichtigsten europäischen Beitrag zur Zivilisation halte.
ARD: Sie werden in wenigen Tagen mit dem Karlspreis ausgezeichnet. Ihr Engagement für den Multilateralismus steht dabei im Vordergrund. Und doch arbeiten Sie in einem Land, in dem der Präsident "Amerika zuerst" proklamiert. Wie gehen Sie damit um?
Guterres: Man muss die amerikanische Gesellschaft als Ganzes sehen. Beim Klimawandel ist die Position der Regierung hier nicht günstig für Klimapolitik. Aber wenn man sieht, wie die Wirtschaft, wie Städte, Gouverneure und die Zivilgesellschaft reagieren, dann sieht man die enorme Dynamik in der amerikanischen Gesellschaft. Ich glaube, dass die USA eine demokratische Gesellschaft sind und dass dies ein enormes Zukunftspotenzial darstellt, unabhängig von der individuellen Position dieses oder jenes Präsidenten.
Ein Großvater sorgt sich um die Zukunft seiner Enkel
ARD: Sie haben einmal gesagt, dass sie viele Schlachten schlagen, aber ihr größter Kampf als Großvater sei der gegen den Klimawandel. Das klingt ziemlich persönlich.
Guterres: Ich glaube, es ist das entscheidende Thema unserer Zeit. Der Klimawandel ist schneller als wir. Ich bin tief besorgt. Die Pariser Klimaziele gehen nicht weit genug. Wir brauchen größere Anstrengungen, deshalb sind für 2020 die nationalen Beiträge entscheidend.
Wir brauchen eine größere Entschlossenheit zur Minderung und Anpassung und bei der Finanzierung. Wir brauchen viel mehr als die Versprechungen von Paris, und nicht einmal die wurden umgesetzt. Wir sehen Rekordtemperaturanstiege, steigende Meeresspiegel, eine Rekordkonzentration von Treibhausgasen. Wir müssen diesen Trend umkehren, denn es wird dramatisch schlimmer.
Das sehen wir an den Stürmen und den Dürren, die den afrikanischen Kontinent treffen. Es ist jetzt wirklich dringend, es herrscht Klimanotstand und deshalb ist es so wichtig, dass die Länder ihre Verantwortung wahrnehmen und zum anstehenden Klimagipfel im September mit der Entschlossenheit kommen, die CO2-Neutralität bis 2050 zu garantieren. Ich war sehr froh, dass die deutsche Kanzlerin sich vergangene Woche dazu bekannt hat.
"Mit Steuergeld den Klimawandel zu fördern, ist völlig irrational"
ARD: Noch immer wird aber in Kohlekraftwerke investiert.
Guterres: Ich fordere, dass nach 2020 keine Kohlekraftwerke mehr gebaut werden. Ein Teil der Lohnsteuer soll als Klimasteuer verwandt werden. Es geht nicht um eine neue CO2-Steuer, sondern um das Verschieben von Mitteln. Wir müssen die Luftverschmutzung besteuern - nicht Menschen. Und die Subventionierung von fossilen Brennstoffen muss aufhören. Es macht keinen Sinn mit Steuergeldern Hurrikane zu befördern, die Dürren zu verstärken, die Gletscher zu schmelzen, die Korallen zu bleichen und die Meeresspiegel zu erhöhen. Entweder nutzen wir das Geld anders oder wir senken die Steuern. Aber mit Steuergeld den Klimawandel zu fördern, ist völlig irrational.
ARD: Ein ziemlich radikaler Vorschlag. Wie offen sind denn die Staaten dafür?
Guterres: Es gibt einige Regierungen, die bereits mehr und mehr machen. Eine CO2-Steuer wird in verschiedenen Teilen der Welt eingeführt. In manchen Ländern werden die Subventionen heruntergefahren, nicht in allen. Und es gibt mehr Investitionen in Erneuerbare Energie. Aber das reicht nicht. Wir brauchen einen Quantensprung - und diesen Quantensprung müssen wir bei unserem Klimagipfel im September unbedingt erreichen.
Beziehungen - gestört wie nie zuvor
ARD: Im Sicherheitsrat fühlt es sich manchmal schon an wie im Kalten Krieg. Wieviel Hoffnung haben Sie, dass irgendwann wieder mehr Vernunft bei der internationalen Zusammenarbeit einkehren wird?
Guterres: Die Beziehungen zwischen den großen Mächten USA, Russland, China waren nie so dysfunktional wie jetzt. Es ist derzeit sehr schwierig im Sicherheitsrat. Wir arbeiten in vielen Bereichen zusammen. Aber sobald wir ein ernstes Problem, eine schwere Krise haben, sei es Syrien oder die Beziehungen zum Iran oder eine andere Situation, ist es praktisch unmöglich, eine einvernehmliche Entscheidung im Sicherheitsrat herbeizuführen. Und natürlich wird der Sicherheitsrat in vielen solcher Fälle durch die Vetos gelähmt.
Das ist ein dramatisches Problem für uns, denn die Öffentlichkeit nimmt die Vereinten Nationen als Einheit wahr. Die Menschen unterscheiden nicht zwischen Sicherheitsrat und dem, was sonst geschieht. Zum Beispiel die außerordentlichen humanitären Leistungen von UNICEF, dem World-Food-Programm oder dem UN-Flüchtlingskommissar und den vielen geretteten Leben jeden Tag überall auf der Welt.
Wir zahlen also alle den Preis für diese Lähmung und ich hoffe, dass die Spannungen weniger werden und die Länder einen Weg finden, die derzeit tiefen Gräben zu überwinden. Sei es bei Frieden und Sicherheit, in Handelsfragen, in Technologie und Integration.
Das Interview führte Christiane Meyer, ARD-Studio New York