Bericht von Human Rights Watch Folter nach dem Putsch in der Türkei?
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft türkischen Polizisten massive Folter von Festgenommenen vor. Ein Bericht dokumentiert 13 Fälle, in denen Beamte nach dem Putschversuch brutal gegen mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung vorgegangen sein sollen.
Schlafentzug, Schläge, Stresspositionen, sexueller Missbrauch, Vergewaltigungsdrohungen. Die Liste von mutmaßlichen Foltermethoden in türkischen Polizeistationen klingt abscheulich. Human Rights Watch in der Türkei hat mit Anwälten, Menschenrechtsaktivisten, medizinischem Personal, Forensikern, vor kurzem entlassenen Inhaftierten und Familienangehörigen von Inhaftierten gesprochen und so 13 Fälle von mutmaßlicher Folter dokumentiert.
Nutzung von Dekreten im Rahmen des Ausnahmezustands
Die Übergriffe hätten sich nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 ereignet, so die Menschenrechtsorganisation, und seien die Konsequenz des am 20. Juli von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan verkündeten Ausnahmezustands. Die am 23. und 27. Juli im Zuge des Ausnahmezustands in Kraft getretenen Dekrete 667 und 668 heben Maßnahmen zum Schutz von Inhaftierten vor Folter und Misshandlungen auf, lautet der Vorwurf von Human Rights Watch an die türkische Regierung. Dekret 667 ermöglicht der Polizei, Festgenommene statt bisher vier nun 30 Tage festzuhalten, ohne diese einem Haftrichter vorzuführen. Dies sei ein "klarer Verstoß gegen internationales Recht", so der Bericht.
Eine Rechtsanwältin erklärte gegenüber Human Rights Watch, ihr Mandant habe ihr erzählt, ein Polizist habe ihm gedroht, ihn mit einem Schlagstock zu vergewaltigen. Außerdem habe er ihm deutlich gemacht, dass er die Polizeistation nicht lebend verlassen würde. "Wir haben jetzt 30 Tage", habe der Polizist ergänzt.
Kontakt mit Anwälten tagelang unterbunden
Darüber hinaus ermögliche Dekret 667 die Teilnahme von Polizisten an Gesprächen zwischen Anwälten und ihren unter Terrorverdacht stehenden Mandanten. Dekret 668 verhindere den Besuch eines Rechtsanwalts bis zu fünf Tagen nach der Festnahme. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe in der Vergangenheit wiederholt festgestellt, dass die Zugangsverweigerung für Anwälte bei Verhören unvereinbar mit dem Recht auf eine faire Verhandlung sei und dass der Zugang eine Sicherheitsmaßnahme gegen Misshandlungen in Haft sei, so der Human-Rights-Watch-Bericht mit dem Titel "Blankoscheck".
Einige Anwälte gaben an, dass manche Festgenommene selbst nach fünf Tagen noch keinen Anwalt zu Gesicht bekommen hätten, hält die Menschenrechtsorganisation in dem Bericht fest.
Durch das Dekret 668 könnte der Staatsanwalt Zugang zu medizinischen Untersuchungsberichten verhindern, beziehungsweise diese als geheim einstufen. So sei es für Inhaftierte und Anwälte kaum möglich einzuschätzen, ob medizinische Untersuchungen sachgerecht durchgeführt und protokolliert wurden. Außerdem sei es folglich für die Betroffenen schwierig, gegen Folter oder Misshandlungen zu klagen oder Beweise vorzubringen, um solche Klagen zu untermauern. Bei Behandlungen durch Ärzte seien wiederholt Polizisten zugegen oder würden vor dem offenen Behandlungszimmer warten, sodass sie Gespräche zwischen Verdächtigen und Ärzten mithören könnten, erklärten Ärzte und Anwälte.
Geständnisse erzwungen
Stimmen die von Human Rights Watch dokumentierten Aussagen, so haben Polizisten in Ankara, Istanbul, Urfa und Antalya die durch die Dekrete erweiterten Möglichkeiten auf brutalste Art und Weise missbraucht. Betroffene wurden dem Bericht zufolge beschuldigt, der für den Putschversuch von der türkischen Regierung verantwortlich gemachten Gülen-Bewegung anzugehören, und dann durch Schläge gezwungen, Geständnisse abzulegen.
Polizisten hätten Verdächtigen gedroht, diese mit einem Knüppel zu vergewaltigen oder ihre Frauen zu vergewaltigen. Ein mit Handschellen gefesselter Verdächtiger sei von mehreren Polizisten verprügelt worden. Eine Anwältin, die bei einem Übergriff auf ihren Mandanten zugegen war, sei durch die Gewalt so sehr eingeschüchtert worden, dass sie keine Terrorverdächtigen mehr verteidigen wollte. Männer seien bei Verhören im Genitalbereich verletzt worden, so der Bericht. Ein Mann sei so sehr in den Bauch geschlagen worden, dass er operiert werden musste.
Ein Verdächtiger habe 36 Stunden auf seinen Knien sitzen müssen. Den Kopf habe er dabei auf den Boden drücken müssen. Die Hände seien auf den Rücken gefesselt gewesen. Immer wenn er sich habe bewegen wollen, so das Human-Rights-Watch-Dokument, hätten ihn Polizisten mit einem Gürtel auf den Kopf und auf den Rücken geschlagen.
Kontrolle unerwünscht
Der Bericht weist auch darauf hin, dass der UN-Sonderberichterstatter für Folter die Türkei im Oktober habe besuchen wollen, dass ihm jedoch der Zugang verwehrt worden sei. Um schnell zum Rechtsstaat zurückzukehren, empfiehlt Human Rights Watch der türkischen Regierung, umgehend die im Ausnahmezustand erlassenen Dekrete zurückzunehmen. Amnesty International hatte bereits im Juli von Folter und Misshandlungen in türkischen Gefängnissen berichtet. Die türkische Regierung wies die Vorwürfe zurück.