Jimmy Lai
Interview

Chinas wachsender Einfluss "Das Gesetz zerstört Hongkong"

Stand: 05.06.2020 06:46 Uhr

Tausende protestieren in Hongkong gegen Chinas "Sicherheitsgesetz". Der Hongkonger Zeitungsverleger Jimmy Lai sagt im Interview, warum er "bis zum letzten Tag" bleiben und kämpfen will.

tagesschau.de: Warum haben Sie so geschockt auf das sogenannte Sicherheitsgesetz reagiert, das Chinas Führung in Hongkongs Grundgesetz festschreiben will?

Jimmy Lai: Wir sind geschockt, weil dieses nationale Sicherheitsgesetz das Hongkonger Grundgesetz und den Legislativrat ersetzt. Das wird uns aufgezwungen. Das ist wie die Abschaffung unseres Grundgesetzes. Das zerstört Hongkong, denn ohne Rechtsstaatlichkeit ist der Status unseres Finanzzentrums zerstört. Ohne Gesetzesschutz hat die Geschäftswelt keinen Schutz, außer man besticht die Beamten, die die Macht über einen haben. Wir werden wie Festland-China sein. Auch in der Finanzwirtschaft mit ihren Transaktionen innerhalb von Sekunden - ohne Rechtsstaatlichkeit gibt es kein gegenseitiges Vertrauen, ohne gegenseitiges Vertrauen wird es keine sekundenschnellen Transaktionen mehr geben. Hongkong - so wie es jetzt besteht - wird zerstört. Und auch unsere Freiheit wird unterdrückt, zum Beispiel die Medien - wir können nichts sagen, alles, was wir sagen, wird Konsequenzen haben. Die Redefreiheit wird auch zerstört.

tagesschau.de: Was halten Sie von der Reaktion der USA auf das sogenannte Sicherheitsgesetz? Die USA haben angekündigt, Hongkong den Sonderstatus bei Finanzen und Handel zu entziehen.

Lai: Wir haben keinerlei Schutz, abgesehen von der Unterstützung der freien Welt, insbesondere von den USA. Ich denke, alles, was die USA mit Sanktionen und Strafen gegen China ins Feld führen, ist unsere einzige Hoffnung, um China daran zu hindern, uns alles wegzunehmen, was wir haben, uns unseren Rechtsstaat und unsere Freiheit wegzunehmen und Hongkong zu zerstören.

tagesschau.de: Anders als die USA will die EU auf Dialog mit Chinas Führung setzen. Verstehen Sie das?

Lai: Das ist nutzlos. Jetzt ist nicht die Zeit für Rhetorik. Jetzt ist die Zeit des Handelns. Wie kann man mit einem Regime reden, das unser Grundgesetz zerreißt, in völliger Missachtung des Gesetzes, das sie unterzeichnet haben. Und darauf zu vertrauen, dass mit ihnen zu reden irgendeine Auswirkung haben wird - ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist.

tagesschau.de: Chinas Staatsmedien machen teils heftig Stimmung gegen Sie - besorgt Sie das?

Lai: Ich habe aufgehört, mich von Angst leiten zu lassen. Was der Kommunist sehr geschickt tut, ist Angst zu erzeugen, um mich zu unterwerfen. Wenn ich jedes Mal über die Konsequenzen nachdenke, weil ich Angst habe, dann kann ich nichts mehr tun und nichts mehr sagen. Ich habe schon vor langer Zeit unterbunden, dass Angst mein Bewusstsein bestimmt.

tagesschau.de: Glauben Sie, dass diese Angriffe auf Sie noch heftiger werden?

Lai: Es ist mir egal. Ich werde hier bleiben. Ich werde weiter kämpfen, ich werde bis zum letzten Tag kämpfen. Es ist mir egal, was sie tun. Ich weiß sowieso nicht, was sie tun werden.

tagesschau.de: Wie hat sich Ihre publizistische Arbeit in den vergangenen Jahren verändert?

Lai: Wir verlieren viel Geld. Sie wissen, die Zeitungsauflage ist zurückgegangen, wurde von den Online-Nachrichten und den sozialen Medien und all dem zurückgedrängt. Es ist also ein sehr schwieriges Geschäft, weiterzumachen. Aber wir müssen trotzdem weitermachen, allein schon, weil wir die Verantwortung gegenüber dieser Gesellschaft haben. Also werden wir weitermachen! Es ist schwierig, wir verlieren viel Geld, aber wir werden weitermachen.

Zur Person

Jimmy Lai, geboren 1948, ist ein Hongkonger Unternehmer und Zeitungsverleger. Er setzt sich seit Jahren entschieden für mehr Demokratie und freiheitliche Rechte in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong ein und wurde damit zu einem der bekanntesten Köpfe der dortigen Demokratiebewegung.

tagesschau.de: Warum glauben Sie ist es für Hongkong wichtig, dass Ihre Zeitungen weiter existieren?

Lai: Zumindest sind wir die Stimme des Volkes, eine der Stimmen des Volkes. Es sind nur noch sehr wenige davon übrig. Es gibt vielleicht noch ein oder zwei kleine Online-Medien, die die Oppositionsposition einnehmen. Und uns als großes Medium, das die Position der Opposition einnimmt. Ich denke, uns am Leben zu erhalten ist wichtig für Hongkong.

tagesschau.de: Können Sie beschreiben, wie die Pekinger Zentralregierung Einfluss auf Medien in Hongkong nimmt?

Lai: Sie schieben Dir einfach den Riegel vor, weil jetzt das nationale Sicherheitsgesetz kommt. Wir können nichts tun. Was immer wir sagen, ist gegen das Gesetz. Das ist dann entweder Aufruhr oder der Versuch der Abspaltung - oder was auch immer für ein Verbrechen sie dir zur Last legen.

tagesschau.de: Viele Hongkonger fragen sich jetzt, ob sie bleiben oder auswandern sollen. Was denken Sie darüber?

Lai: Die Menschen in Hongkong haben zwei Möglichkeiten: Entweder auszuwandern oder zu bleiben, um zu kämpfen. Nun, vielleicht haben einige Leute immer noch die Wahl, zu bleiben und gegenüber der chinesischen Regierung unterwürfig zu sein - so wie die Chinesen auf dem Festland. Wissen Sie, ich selbst werde bis zum letzten Tag bleiben und kämpfen.

Die Fragen stellte Daniel Satra, ARD-Studio Peking.

Über dieses Thema berichtet der Weltspiegel am 7. Juni um 19.20 Uhr.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der Weltspiegel am 07. Juni 2020 um 19:20 Uhr.