Streit über Pilgerreise "Machtkampf mit religiösen Mitteln"
Der schiitische Iran lässt in diesem Jahr keine Bürger zum Hadsch ins sunnitisch geführte Saudi-Arabien reisen. Grund sind Sicherheitsbedenken. Doch in Wahrheit geht es um etwas anderes, sagt ARD-Korrespondent Baumgarten: den Machtkampf der beiden Regionalmächte.
tagesschau.de: Warum fahren keine Iraner zum Hadsch?
Reinhard Baumgarten: Der offizielle Grund sind die Hunderte Toten beim letzten Hadsch. Darunter waren mindestens 464 Iraner. Teheran wirft Saudi-Arabien vor, dafür verantwortlich zu sein. Saudi-Arabien weist diesen Vorwurf zurück und sieht die Schuld vor allem bei iranischen Pilgern, die eine Massenpanik ausgelöst haben sollen. Teheran hatte schon lange vor dem Hadsch die Pilgerreise nach Mekka für iranische Wallfahrer ausgesetzt.
Gleichzeitig ist Saudi-Arabien verärgert, weil wütende iranische Demonstranten zu Jahresbeginn die saudische Botschaft in Teheran besetzten - aber die iranischen Behörden dafür bislang niemanden zur Rechenschaft gezogen haben. Riad hat die diplomatischen Beziehungen zu Teheran abgebrochen. Der Grund für die Erstürmung der saudischen Botschaft und des Konsulats im März war übrigens die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen saudischer Nationalität Nimr al-Nimr in Saudi-Arabien.
Reinhard Baumgarten berichtet für den ARD-Hörfunk aus dem Studio Istanbul. Zu seinem Berichtsgebiet gehören neben der Türkei auch der Iran, sowie Griechenland und Zypern. 2011 eröffnete er das ARD-Hörfunkstudio in Teheran. Bis 2006 war Baumgarten Korrespondent im ARD-Hörfunkstudio Kairo.
tagesschau.de: Welche Rolle spielen in der aktuellen Auseinandersetzung die generellen Spannungen zwischen Riad und Teheran sowie die Kriege im Jemen und in Syrien?
Baumgarten: Der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran um die Vorherrschaft in der Region ist natürlich die eigentliche Ursache, die über dem Hadsch-Streit schwebt. Beide Seiten bekämpfen sich in Stellvertreterkriegen im Jemen und in Syrien. Deshalb herrscht ein unglaubliches Misstrauen zwischen beiden Staaten. Und der Konflikt über die Pilgerfahrt ist ein Symptom dieser Spannungen, die nun auf der religiösen Flamme gekocht werden. Es ist ein Machtkampf zweier Staaten, der mit allen Mitteln ausgetragen wird.
Gleichzeitig stecken beide Länder auch in innenpolitischen Schwierigkeiten. Der Iran kommt trotz des Endes einiger internationalen Sanktionen nicht aus der wirtschaftlichen Misere heraus. Saudi-Arabien hat eine sehr junge Bevölkerung, für die es kaum Jobs gibt und die deshalb unzufrieden ist. Dazu kommt ein ehrgeiziger Kronprinz, der sich über eine harte außenpolitische Linie profilieren will.
Kontingente für jedes muslimische Land
tagesschau.de: Missbrauchen die Saudis in diesem Konflikt nicht ihre Machtstellung, wenn sie den Iranern die Einreise erschweren? Immerhin liegt in ihrem Land die heiligste Stätte des Islam.
Baumgarten: Da treffen zwei sture Parteien aufeinander, die sich offenbar nicht einigen wollen. Man muss wissen, dass es für jedes Land Kontingente für Pilger gibt, die jedes Jahr nach Mekka reisen dürfen. Denn der Platz dort ist begrenzt und es gibt rund 1,5 Milliarden Muslime weltweit, von Pakistan über Indonesien bis in den Senegal. Im Falle Irans sind es bei rund 80 Millionen Einwohnern etwa 70.000 Pilger, die jährlich zum Hadsch nach Mekka dürfen.
Beide Staaten weisen sich gegenseitig die Schuld an der Panik im vergangenen Jahr und damit dem aktuellen Streit zu. Bei der symbolischen Steinigung des Teufels, einem Ritual der Mekkawallfahrt, sollen sich im vergangenen Jahr Iraner vorgedrängelt und damit die Katastrophe ausgelöst haben, sagen saudische Behörden. Der oberste geistliche Führer des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, ging allerdings so weit, zu behaupten, Saudi-Arabien habe die Hadsch-Pilger, die bei der Katastrophe in Mekka getötet wurden, "ermordet".
tagesschau.de: Bei dieser Katastrophe kamen während des Hadsch 2015 mehr als 2000 Menschen ums Leben, darunter mindestens 400 Iraner. Wie wollen die Saudis diesmal Massenpanik und Tote verhindern?
Baumgarten: Bei der symbolischen Steinigung des Teufels kommt es immer wieder zu kritischen Situationen - nicht nur aufgrund der großen Enge, sondern auch, weil gerade da Emotionen extrem hochkochen können. Iranische Pilger hatten in der Vergangenheit häufig politische Demonstrationen abgehalten, die oftmals auch die saudischen Herrscher schmähten. Das führte immer wieder zu blutigen Zusammenstößen. In diesem Jahr sollen alle Pilger aus dem Ausland ein elektronisches Armband bekommen. So wollen die Sicherheitsbehörden die Pilgerströme besser überwachen und kontrollieren können.
Ich glaube aber nicht, dass sich die Sicherheit deutlich verbessern wird. Man muss sich einfach klarmachen, dass es bei dieser schieren Masse an Pilgern immer zu Unfällen und damit auch zu Todesopfern kommen wird. Dazu kommen extreme äußere Bedingungen: Gerade herrschen Temperaturen zwischen 40 und 50 Grad in Mekka. Allein durch Erschöpfung und Wassermangel wird es Opfer geben.
Internationales Komitee als Lösung?
tagesschau.de: Wie stellen sich denn die Iraner einen sicheren Hadsch vor?
Baumgarten: Der iranische Revolutionsführer Ali Chamenei fordert schon länger, die Organisation des Hadsch an ein internationales Komitee aller islamischen Länder zu übertragen. Seiner Meinung nach ist Riad damit schlicht überfordert. Darauf will sich Saudi-Arabien aber natürlich nicht einlassen. Und die anderen Länder halten sich aus dem Streit heraus, sodass die Forderung der Iraner wohl eher nicht umgesetzt wird.
tagesschau.de: Wird der Hadsch-Streit die Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten verschärfen, etwa im Irak?
Baumgarten: Das glaube ich nicht, denn dieser Konflikt schwelt ja schon länger. Es gibt in Saudi-Arabien eine große schiitische Minderheit und im Iran eine sunnitische Minderheit. Beide Länder beschuldigen sich, die Minderheit im jeweiligen Land zu finanzieren, aufzuwiegeln und zu Terroraktionen anzustacheln.
Ali Chamenei wetterte gegen das saudische Königshaus.
Allerdings gewinnt Konflikt durch etwas anderes weiter an Schärfe: Mitte der Woche hat der saudische Obermufti die Schiiten im Iran als Ungläubige bezeichnet und als Söhne von Magiern verunglimpft - eine Anspielung auf den Zoroastrismus, die Volksreligion im antiken Perserreich. Der iranische Revolutionsführer Chamenei hat dagegen gewettert, die Saudis seien eine "verdammte und geldgierige Sippe", die mit der Organisation des Hadsch überfordert sei.
tagesschau.de: Welche finanziellen Folgen zieht der Streit nach sich?
Baumgarten: Man darf nicht vergessen, dass die Pilgerreise ein enormer Wirtschaftsfaktor ist - es geht da um richtig viel Geld. Der Iran hat angegeben, dass die ausbleibenden Pilger Saudi-Arabien mindestens zwei Milliarden Dollar kosten werden. Die Pilger leben ja tage- oder sogar wochenlang in feuerfesten Zelten, die mitunter viel Miete kosten. Riad wird das aber verschmerzen können.
Auf der anderen Seite gibt es auch im Iran heilige Stätten, in Ghom und in Mashhad, die nun von saudisch-schiitischen Pilgern gemieden werden. Das wiederum bringt dem Iran Einbußen. Es ist also auch ein kleiner Wirtschaftskrieg, der da über die Religion ausgetragen wird und der beiden Seiten schadet. Schwerwiegender als der wirtschaftliche Schaden ist allerdings die Sprachlosigkeit und der fehlende Austausch zwischen beiden Ländern. Wer nicht direkt miteinander redet, der redet häufig schlecht übereinander. Der Konflikt zwischen Teheran und Riad ist da ein beredtes Beispiel.
Das Interview führte Alexander Steininger, tagesschau.de